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Die Studentenbewegung hat im Iran eine lange Vorgeschichte. Sie hat sich stets für verbesserte Studienbedingungen, gegen die Zensur der Fachliteratur, für eine Selbstorganisation der Studenten, für gesellschaftliche Freiheiten und eine Demokratisierung der Gesellschaft eingesetzt. In ihrem Kampf gegen die diktatorischen Regime hatte sie viele Opfer zu beklagen. Wann immer im Iran gesellschaftliche Veränderungen in Gang kamen und demokratische Bewegungen, Parteien und fortschrittliche Organisationen die Arena betraten, um mehr Freiheiten einzufordern, standen ihnen die Bewegung der StundentInnen zur Seite. Die iranischen Studentenbewegungen stützten sich in ihren Kämpfen stets auf wissenschaftliche Theorien und waren energische Gegner rückständiger Vorstellungen und mittelalterlicher Sitten. Eine historische und soziologische Untersuchung dieser Bewegungen fördert zutage, dass ihre Mitglieder und Aktiven aus allen Gesellschaftsschichten stammen.
Einen Höhepunkt fand diese Bewegung in den Jahren 1950 - 1953, als sich die Studentinnen und Studenten dem Kampf um die Verstaatlichung der von britischen Konzernen beherrschten Erdölindustrie anschlossen. Die Bewegung zur Verstaatlichung der Erdölindustrie erfasste den ganzen Iran. Ihr Ziel war es, dem Volk die Kontrolle über die eigenen Bodenschätze zu übertragen. Damals spielte die Studentenbewegung eine wesentliche Rolle bei der Aufklärung der Bevölkerung.
Die britische Regierung und die britischen Erdölgesellschaften, die ihren Einfluss verloren hatten, und die amerikanische Regierung, die die Interessen amerikanischer Konzerne vertrat, welche ein Auge auf die billigen Ölreserven des Iran geworfen hatten, einigten sich und inszenierten im September 53 einen Putsch. So wurde die gewählte Regierung von Mohammad Mossadegh, der im Volk sehr beliebt war, gestürzt; der Schah, der ins Ausland geflüchtet war, konnte wieder zurückkehren und sich dank britischer und amerikanischer Hilfe wieder auf den Thron setzen. Nun setzte eine erbarmungslose Repressionswelle ein: gegen die einfache Bevölkerung ebenso wie gegen die Mitglieder der Parteien und der Studentenbewegung setzte der Schah das Militär und gedungene Schläger aus den Slums ein. Wenige Monate nach seiner Machtergreifung schickte der Schah den Studenten seine Spezialgarde auf den Hals, die Mitte Dezember 53 die Technische Hochschule stürmte und drei Hochschüler erschoss. Zahlreiche Studenten wurden verhaftet und viele verletzt. Aufgrund der polizeilichen Unterdrückung war die Studentenbewegung gezwungen, in den Untergrund zu gehen und ihre Aktivitäten heimlich fortzusetzen. Im Rahmen dieser Untergrundorganisationen und -aktivitäten bildeten sich die Studenten theoretisch fort, pflegten aber auch Sportarten wie das Bergsteigen und gemeinsame Unternehmungen, um ihre Widerstandskraft zu festigen und so auch zum Beispiel im Fall einer Festnahme dem Druck der Verhörmethoden zu widerstehen.
Mit Hilfe von heimlich gedruckten und verteilten Zeitungen und Flugblättern versuchten sie, vom Regime unterdrückte Nachrichten zu verbreiten und in die Bevölkerung zu tragen.
Wenige Jahre nach dem Putsch zeigte sich wieder deutlich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die erste allgemeine Protestbewegung ging von den Arbeitern der Ziegelbrennereien in Teheran aus, die unter entsetzlichen Arbeitsbedingungen zu leiden hatten. Ihre Forderungen bezogen sich lediglich auf eine Verbesserung dieser Bedingungen und Lohnerhöhungen. Die Studenten stellten sich öffentlich wie im Verborgenen hinter diese Forderungen. Aber mit Hilfe des Militärs und der Polizei schlug der Schah diese friedfertige Protestbewegung nieder, Hunderte von Menschen wurden getötet, Tausende verhaftet. Durch dieses Vorgehen machte sich das Schahregime bei der ganzen Bevölkerung verhasst.
Etwa ein Jahr später begannen die Teheraner Taxifahrer zu streiken. Auch hier schlossen sich die Studenten an und unterstützten die Taxifahrer. Diesmal setzten sich die Streikenden teilweise mit ihren Forderungen durch.
1961 kam es zu einem massiven, landesweiten Streik der Lehrkräfte im ganzen Iran. Der Schah gab nach, bildete sein Kabinett um und beugte sich Forderungen der LehrerInnen. Dieser Streik betraf die Studenten sehr direkt, weil viele von ihnen Lehrer waren und gleichzeitig studierten. So verwundert es nicht, dass die Studenten bei diesem Streik eine wesentliche Rolle spielten. Die Verbindung der Studentenbewegung mit den streikenden LehrerInnen war einer der wichtigsten Gründe für den erfolgreichen Ausgang des Streiks.
Die bis 1962 herrschende feudale gesellschaftliche Ordnung im Iran geriet in eine ernste wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Krise, die Unzufriedenheit der Bevölkerung griff immer weiter um sich. Bis zu jener Zeit verfochten die gesellschaftlichen Bewegungen vor allem zwei Theorien: Die einen wollten selbst das Schahregime mit der Waffe in der Hand stürzen, während die anderen davon ausgingen, dass ihre Aufgabe in der Aufklärung der Bevölkerung liege, die sich dann schon selbst der Tyrannei entledigen werde. Einig waren sie sich jedoch darin, dass das Feudalsystem und die Schahherrschaft einer Entwicklung im Wege standen und erst eine Beseitigung dieses Systems und der Sturz des Schahs Besserung bringen würden. Diese beiden großen Denkrichtungen spiegelten sich auch in der Studentenbewegung wider. An allen Hochschulen versuchten Gruppen diverser ideologischer Ausrichtung Anhänger zu werben und sich zu organisieren.
Die Krise ließ den Thron des Schahs nun schon zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren wackeln. Unter diesen Umständen und dem Druck des US-Präsidenten Kennedy willigte der Schah schließlich in eine Landreform ein. Es war an der Zeit: Gab es doch noch immer Grundbesitzer, die bis zu 500 Ortschaften ihr eigen nannten. Die Landreform wurde in mehreren Phasen abgewickelt und erstreckte sich über mehrere Jahre. Das Land wurde damals direkt an die Bauern verkauft. Und um die Arbeiter auf seine Seite zu bringen, beteiligte er sie zu einem gewissen Prozentsatz am Gewinn und den Aktien der Fabriken. Die Reformen waren zwar nur sehr oberflächlich, reichten aber fürs erste aus, die Unzufriedenheit der Bauern und der Arbeiter zum Verstummen zu bringen. Dieses Programm brachte die gesellschaftliche Unterstützung der Protestbewegungen für einige Jahre zum Erliegen.
Noch einmal attackierte der Schah mit Polizei und Militär die Bewegung der Intellektuellen und Studenten, diesmal unter dem Beifall eines Teils der Bauern und Arbeiter. Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen der politisch Aktiven sowie der Studenten waren die Folge. Was die Bodenreform betraf, forderten die Studenten eine grundlegende Neugestaltung, zu der der Schah weder in der Lage noch willens war.
So mussten die weiteren politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten der Studenten im Untergrund fortgeführt werden. Die Diskussion in diesen Kreisen drehte sich jetzt vor allem um den Sturz des Schahregimes. Denn alle waren überzeugt, dass die Forderungen nach mehr Freiheit und verbesserten Studienbedingungen keine Aussicht auf Erfolg hatten, solange der Schah die politische Macht in den Händen hielt, solange der iranische Geheimdienst Savak die Menschen in Furcht und Schrecken versetzte und dieses diktatorische System herrschte. Die große Frage war nur, WIE es gelingen sollte, den Schah zu stürzen. Durch einen bewaffneten Kampf oder durch einen Volksaufstand? Und wenn durch einen bewaffneten Kampf, dann wie? Von den Bergen aus, in den Wäldern? Oder mitten in der Stadt? Und wenn nicht mit Waffen, mit welchen politischen Mitteln dann? Wie ließ sich das unzufriedene Volk organisieren? Wie konnte man gegen das Schah-Regime den Aufstand wagen? Das waren die Fragen, die die Studenten damals bewegten.
Diese beiden Grundpositionen, die in den damaligen Diskussionen zutage traten, führten zu einer Spaltung in der Studentenbewegung ebenso wie in allen anderen sozialen Bewegungen. Die Anhänger der einen Richtungen wurden als Nesamikor, als die Militärischen, bezeichnet, die anderen als Siyosikor, als die Politischen. Jede Richtung war wiederum in zwei Fraktionen gespalten, in eine marxistische und eine religiöse.
Ein marxistischer Flügel trat unter dem Namen Sosemone Tscherikhaje Fedojin Chalk - Organisation der Partisanen der Volksfedajin (die sich fürs Volk aufopfern) im Monat Bahman 1349 (Februar 1970) in den Wäldern im Nordiran den bewaffneten Kampf gegen das Schahregime an. Aber als das Schahregime die nördlichen Wälder von der Luft und vom Lande umzingelte, brach der Widerstand der Partisanen zusammen. Auch wenn die Unternehmung vom Misserfolg gekrönt war, verfehlte sie ihre Wirkung an den Unis nicht, und die aktivsten Studenten schlossen sich den Fedajin an, die auf diese Weise starken Einfluss auf die Studentenbewegung bekamen.
Da zu jener Zeit, das heißt bis 1978, jegliche oppositionellen politischen Parteien und Organisationen verboten waren und kein legaler politischer Freiraum existierte, verwandelten sich die Hochschulen, besonders die in Teheran, Schiras, Tabris und Isfahan, in wichtige Zentren, in denen Dichterlesungen, Vorträge, Theater- und Filmvorführungen veranstaltet und verbotene Bücher, Zeitungen sowie Flugblätter verteilt wurden. So konnte man den Puls des politischen Kampfes gegen den Schah am besten an den Unis spüren, und in diesen Kreisen war es auch, wo die Methoden des Kampfes festgelegt wurden.
Als Chomeini nach Paris kam, der die Unterstützung der westlichen Massenmedien genoss, verlagerte sich das Entscheidungszentrum von der Uni Teheran nach Paris. Aber die Uni Teheran blieb nach wie vor ein Ort öffentlicher Treffen, Versammlungen und Kundgebungen.
Als Chomeini nach Iran zurückkam, besuchte er zuerst das Grab der Märtyrer und dann eine halbreligiöse Schule im Zentrum Teherans. In dieser Schule ließ er sich erstmal nieder und forderte seine Anhänger auf, ihn dort aufzusuchen. Chomeinis Hintergedanke war der, das Zentrum des Kampfes von der gegenüberliegenden Uni zu sich herüberzuziehen. Aber seine Rechnung ging nicht auf, und die Uni stand weiter im Mittelpunkt der Demos und Kundgebungen, blieb weiter der Treffpunkt für die politischen Kräfte und die Studentenbewegung. In dieser Zeit, also während des Volksaufstands, splitterte sich die Studentenbewegung in Dutzende marxistischer und religiöser Gruppierungen auf, von denen jede entsprechend ihrer Kräfte und Anhängerzahl ein Gebäude oder einige Räume der Uni in Beschlag nahm und sie in ein zentrales Büro für die politische Arbeit verwandelte.
Als es Chomeini nicht gelang, sich die Uni und die Studenten zu unterwerfen, wählte er den Fußballplatz der Uni, der genau in ihrem Zentrum lag, zum Versammlungsort für das Freitagsgebet und wählte die daneben liegende Moschee der Uni als Ort für die Freitagspredigt. So versammelten sich jeden Freitag eine Million Moslems - ob freiwillig oder aus Angst - auf dem Fußballplatz zum Gebet. Das Freitagsgebet wurde zur landesweiten Tribüne, auf der Chomeini über seine Anhänger die Richtlinien zu allen Fragen der Innen- und Außenpolitik diktierte. Aber auch mit dieser Taktik gelang es Chomeini nicht, die Uni und die Studenten, die er gegen sich hatte, zum Rückzug zu veranlassen. Die Studentenbewegung versuchte, die gesellschaftlichen Freiheiten zu institutionalisieren und trat für die Freiheit der religiösen Minderheiten, der Parteien, der Zeitungen und für freie Meinungsäußerung ein. Aber Chomeini wollte eine Islamische Regierung - kein Wörtchen mehr, und keins weniger! So kam es zur Konfrontation zwischen der Studentenbewegung auf der einen und Chomeini sowie seinen Anhängern auf der anderen Seite. Ein Teil der Studenten scherte aus und suchte einen Kompromiss mit Chomeini, die Mehrheit dagegen, die sich die Freiheit und ihre Verankerung derselben auf die Fahne geschrieben hatte, setzten ihren Weg fort. So geschah es, dass die Uni, die in der Bevölkerung hohes Ansehen genoss, erneut eine Bastion zur Verteidigung der Freiheit wurde. Das war für Chomeini unakzeptabel. Im Monat Ordibehescht 1359, entsprechend dem Mai 1980, gab Chomeini persönlich den Befehl zum Angriff. Mit Knüppeln bewaffnete Anhänger der Gottespartei, der Hesbollah, stürmten die Unis und schlossen sie. Zwei Jahre lang blieben die Hochschulen geschlossen. In diesen zwei Jahren wurden Tausende von Studenten, Studentinnen und Lehrkräften der Unis verhaftet, gefoltert, ins Gefängnis gebracht und hingerichtet.
1982 wurden die Unis wieder geöffnet, offen standen sie aber nur noch den Anhängern des Chomeini-Regimes und denjenigen, die entsprechende Beziehungen hatten. Nach der Eröffnung wurde an jeder Uni, an jedem Institut, an jeder Akademie, sogar in jeder Klassse ein Islamischer Verein "Andschomane Eslomi" gebildet, der unter der Aufsicht eines direkt von Chomeini ernannten Vertreters stand. Damit standen sämtliche Vorlesungen und Seminare, die einzelnen Fakultäten wie auch die Gebäude der Uni, und natürlich auch die Lehrkräfte und die Studierenden unter der direkten Kontrolle der Islamischen Vereine und letztlich der Vertreter Chomeinis.
Vor dem Volksaufstand von 1978 musste jeder, der an einer iranischen Uni studieren wollte, an einer landesweiten Auswahlprüfung teilnehmen, die jedes Jahr zu einem bestimmten Termin stattfand. Nur diejenigen, die bei der Prüfung die besten Noten hatten, durften studieren. Während die Zahl der Studierwilligen schließlich 1,5 Millionen erreichte, konnten die Unis nicht mehr als 150.000 Studenten aufnehmen.
Nach der Wiedereröffnung der Unis unter Chomeini änderten sich die Aufnahmebedingungen. Jetzt waren die Noten nicht mehr ausschlaggebend. Selbst wenn man in seinem ganzen Schulleben sich nie gegen Chomeini und die Islamische Republik geäußert hatte und selbst wenn man die Prüfung mit sehr guten Noten bestanden hatte, war das erst der Anfang des Verfahrens. Denn dann kamen geheime Prüfer an den bisherigen Wohnort des angehenden Studenten und befragten die Nachbarschaft. Erst wenn sie dabei feststellten, dass man in seinem privaten wie im öffentlichen Leben die islamischen Vorschriften eingehalten hat, sich niemals gegen Chomeini oder die islamische Regierung kritisch geäußert hat und auch nichts in dieser Richtung getan hat, erst dann durfte man mit dem Studium beginnen.
Etwa 60 Prozent der Studienplätze waren für diejenigen bestimmt, die diese Hürden überwinden mussten. Die anderen 40 Prozent waren für Märtyrerfamilien, für Kriegsinvaliden, für Revolutionswächter und Angehörige und Schutzbefohlene der Machthaber reserviert. Angesichts der äußerst schweren Studienbedingungen und der Anwesenheit von 40 Prozent Studenten, die energische Befürworter des Chomeini-Regimes waren, blieb für freiheitsliebende Kräfte an den Unis kein Platz. So erklärt sich das 15jährige Schweigen der Unis nach der Wiedereröffnung und Säuberung.
Das, was da an den Unis als sogenannte Studentenorganisation firmierte, waren Marionetten, die sich bedingungslos Chomeini und seiner Regierung unterordneten. Der Hauptzweck ihres Daseins war die Überwachung ihrer Kommilitonen und der Lehrkräfte. Die Informationen über die Bespitzelten gaben sie dann an Chomeinis Geheimdienste weiter. Während des iranisch-irakischen Kriegs hatte sie darüber hinaus die Aufgabe, die Studenten zu Arbeiten hinter der Front zu zwingen. Kein Wunder, dass 15 Jahre lang kein politisch aktiver Student zu finden war, der aus der normalen Bevölkerung kam und sich getraut hätte, eine Reform der Studienbedingungen einzufordern.
In den 90-er Jahren zwang eine gewaltige Wirtschaftskrise das System der Islamischen Republik Iran in die Knie: die Preise kletterten auf schwindelerregende Höhen, die Arbeitslosigkeit verbreitete sich wie die Pest, und allmählich tauchten da und dort die ersten spontanen Protestbewegungen auf. Das inländische Kapital flüchtete ins Ausland, während das ausländische Kapital sich zu unsicher fühlte, um im Iran zu investieren. Da die iranische Bevölkerung in 20 Jahren von 40 Millionen auf 70 Millionen angewachsen war und der Inflation, der Arbeitslosigkeit und der Obdachlosigkeit schutzlos ausgesetzt war, während die Bestechlichkeit der Staatsorgane und die Veruntreuung öffentlicher Gelder durch hochrangige Personen für jeden sichtbar wurde, suchten verschiedene Flügel der Machthaber nach Lösungen für die Gesellschaftskrise. Der Einfachheit halber will ich sie in zwei Flügel einteilen: Die einen sind die an der Macht, die anderen die, die nur am Rande stehen. Diejenigen am Rande fassten als Weg zur Macht und zur Lösung der Gesellschaftskrise geringfügige politische Reformen ins Auge, die vor allem ihnen selbst zugute kommen sollten. Die Machthaber hingegen hielten von Reformen gar nichts, ja, sie betrachteten solche sogar als bedrohlich. Diese beiden Flügel werden in den Massenmedien als liberaler Flügel und als konservativer Flügel bezeichnet.
Die Denkweise an der Spitze des Regimes setzte sich unten an der Basis fort. Das führte dazu, dass alle, die an der Basis lukrative Posten hatten, sei es in der Wirtschaft, in den Sicherheitskräften oder in der Politik, sich um den religiösen Führer Chamenei sammelten, während alle, die ihre Posten verloren hatten oder nur ein paar Krümel vom Kuchen abbekommen hatten, sich um den Präsidenten Chatami scharten. Die Flügelbildung und bescheidene Meinungsverschiedenheiten an der Spitze übertrugen sich auch auf die Hochschulen und die Dozenten. Die Islamischen Vereinigungen der Studenten sympathisierten an allen Unis mehrheitlich mit dem liberalen Flügel, nur eine Minderheit stand auf Seiten der Konservativen. Die Art, wie die Konservativen das Land regierten, ließ die Bevölkerung in eine Richtung driften, die die Auflösung der Islamischen Republik beschleunigte. Das Reformprojekt des liberalen Flügel sollte die Islamische Republik erhalten und eine Auflösung des Systems verhindern. Die Liberalen machten sich die Tatsache zunutze, dass der Iran etwa 1,5 Millionen Studenten zählt, die aufgrund der Wirtschaftskrise und den entsprechend düsteren Berufsaussichten zum großen Teil unzufrieden sind, und organisierten diese Kräfte.
In dem sich anschließenden Machtkampf hatte der konservative Flügel die wirtschaftliche, polizeilich-militärische, die richterliche und die gesetzgebende Gewalt in seiner Hand. Der liberale Flügel dagegen hatte nichts an der Hand, um die verschiedenen Machtbereiche zu erobern und die Islamische Republik zu retten. So leitete er das Wasser der gewaltigen Unzufriedenheit in der Bevölkerung auf seine Mühlen und zog über 20 Millionen Menschen, besonders die Jugend und die Intellektuellen, auf seine Seite. In diesem Umfeld bildete sich eine neue Studentenbewegung, die mit Unterstützung der Liberalen auch Kritik an den Konservativen üben durfte. In ihren Reden und Zeitungen kritisierten die Studenten die Bestechlichkeit, die Unterschlagung öffentlicher Gelder, die Seilschaften, die politischen Morde und Folterungen.
Neben diesen Enthüllungen wandte sich die neue Studentenbewegung allmählich auch den Studienbedingungen zu, womit sie viele weitere Studenten anzog. Schließlich überschritten ihre Forderungen auch diese Stufe und bezogen sich auf die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.
Es verdient, festgehalten zu werden, dass sämtliche Führer der Studentenbewegung vom Jahre 1999 entweder aus sogenannten Märtyrerfamilien stammen, die im Krieg einen Sohn an der Front verloren haben, oder Kriegsinvaliden sind bzw. dem liberalen Flügel angehören. Unter diesen Studentenführern dominiert die Einstellung, dass ihre Familien gegen den Schah gekämpft, am Krieg gegen den Irak teilgenommen und dafür ihr Leben oder ihre Gesundheit geopfert haben, während andere die Erdöl-Dollars unter sich aufteilen, die Einnahmen aus dem Außenhandel in andere Taschen fließen und alle lukrativen Geschäfte von anderen gemacht werden.
Im Laufe der Zeit begnügte sich die Studentenbewegung nicht mehr damit, nur in der Uni Reden zu halten, sie gingen auch in die Parks und die Moscheen, um die gewöhnlichen Menschen zu erreichen. Solche Veranstaltungen waren ein beliebtes Angriffsziel für die Schlägertrupps der Hesbollah, die dem konservativen Flügel zuzurechnen sind. Dabei kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen auf der Straße, bis die eine Seite die Flucht ergriff.
Das Beachtliche und auch Hoffnungsvolle an der Sache ist, dass weder die Islamischen Vereine noch die Führer der Studentenbewegung von 1999 je gegen die Regierung der Islamischen Republik oder deren Grundgesetz waren. Die Bewegung stellte ihre Forderungen im Rahmen der Verfassung der Islamischen Republik und pochte auf die Einhaltung ihrer Gesetze. Die Folgen dieser Auseinandersetzung für die fortschrittlichen Intellektuellen und die unzufriedene Bevölkerung waren sehr positiv, denn in dieser günstigen Situation erfuhren sie erstmals von geheimgehaltenen Fakten und Vorgängen aus dem Innern der Macht. Dieses neue Bewusstsein machte der Bevölkerung und vor allem den Studenten Mut, die auf einmal ohne Angst vor Zusammenstößen, vor Inhaftierung und Folter Protestdemos veranstalteten. So wurde die Uni nach 18 Jahren erneut zum politischen Zentrum der Protestbewegung gegen die Unterdrückung und Diktatur.
In der Nacht zum Freitag, dem 9. Juli 1999 (18. Tir 1378), trat die Studentenbewegung in eine neue Phase ein.
In dieser Nacht kamen rund 200 Studenten der Uni Teheran auf Initiative der Islamischen Vereinigung der Studenten im Studentenwohnviertel zusammen, wo sie über einen Gesetzentwurf diskutierten, der die Presse knebelte und an selbigem Tag vom Islamischen Rat verabschiedet worden war. Während dieser Debatte erfuhren die Studenten von der Schließung der Zeitung "Salam", die nicht mehr erscheinen durfte. Die Zeitung "Salam" war die Haupttribüne des liberalen Flügels und hatte unter den Studenten zahlreiche Anhänger. In der letzten Zeit hatte "Salam" einige große Skandale enthüllt. Deshalb entschlossen sich die Studenten zu einem spontanen Protest. Besagte 200 verließen das Studentenviertel und marschierten zum Polytechnikum der Uni Teheran. In kurzer Zeit war ihre Zahl auf 500 angewachsen. Auf dieser friedlichen Kundgebung riefen sie Parolen wie:
"Osodiye matbu'ot salomate dschome'e, tousse'eye siyosi zarurate dschome'e."
(Pressefreiheit dient der Gesundheit der Gesellschaft, politische Entwicklung ist notwendig für die Gesellschaft.)
"Osodiye andische, hamische, hamische."
(Gedankenfreiheit, für immer, für immer.)
Gegen zwei Uhr morgens beendeten die Studenten ihre friedliche Kundgebung und kehrten in ihre Wohnheime zurück. Unterdessen riegelten Polizeieinheiten zur Niederschlagung von Unruhen die Studentensiedlung ringsum ab. Gegen vier Uhr morgens, als die meisten Studenten schliefen, kam der Befehl zum Angriff. Von allen Seiten regnete ein Kugelhagel auf die Studentenwohnheime. Polizisten zur Aufstandsbekämpfung und Hesbollah-Mitglieder stürmten die Wohnhäuser mit Feuerwaffen, Knüppeln und Messern und droschen erbarmungslos auf die Studenten ein. Viele wurden sogar aus dem Fenster geworfen. In der Folge sprachen allein schon die amtlichen Stellen von 40 Studenten, die Arm- und Beinbrüche erlitten, ein Medizinstudent erblindete.
Der Angriff dauerte bis sieben Uhr morgens. Die genaue Zahl der Todesopfer ist bis heute nicht bekannt. Nach Regierungsangaben wurden jedoch vier StudentInnen getötet, dreihundert verletzt und vierhundert verhaftet.
Um acht Uhr morgens versammelten sich die Studenten im Eingangsbereich des Studentenwohnviertels. Ihre Zahl wuchs rasant an, und sie begannen, Parolen zu skandieren und von der Regierung zu fordern, die Angreifer und die Mörder zu verfolgen und vor Gericht zu stellen. Gegen Mittag begaben sich die Studenten in einem langen Protestzug zum Haupttor der Uni. Vor dem Tor angekommen, sprachen sie das Freitagsgebet. Mittlerweile waren es schon mehrere Tausend. Überall wurden schwarze Fahnen zum Zeichen der Trauer gehisst. Darauf entsandten die Liberalen in der Regierung einige wichtige Vertreter zu den Studenten, um sie zu beschwichtigen. Sie versprachen hoch und heilig, sich um die Untersuchung der Verbrechen, die an den Studenten begangen wurden, zu kümmern.
Dieser Tag endet mit vereinzelten Zusammenstößen zwischen den Hesbollahis und den Studenten. In solchen Situationen war von der Polizei zur Bekämpfung von Unruhen und anderen Polizeieinheiten weit und breit nichts zu sehen.
Am 10.7.99 drängen sich dichte Menschenmassen auf dem Gelände der Uni und in den umliegenden Straßen. Wieder keine Spur von der Polizei, nicht einmal die Hesbollahis und die mit Knüppeln bewaffneten Schlägertrupps der Konservativen zeigen sich. Die Zahl der Studenten wächst auf 15.000 an. Sowohl seitens des liberalen Flügels wie des konservativen erscheinen Vertreter bei den Studenten, trösten sie und bitten sie, weiterhin Ruhe zu bewahren und dem Staat Gelegenheit zu geben, den Vorfall in der Studentensiedlung zu untersuchen. Die Führer der Studenten und der Islamischen Vereine an den Teheraner Hochschulen fordern die Studenten auf, in die Uni zu gehen und dort weiter zu demonstrieren und zu protestieren. Aber die Studenten lassen sich von ihnen nicht abwiegeln. Sie sagen: Es ist doch bekannt, wer den Befehl zum Angriff erteilt hat, es ist bekannt, wer angegriffen hat, es ist bekannt, wer das Massaker angerichtet hat, warum passiert dann nichts, warum werden die nicht verhaftet und bestraft?
Die Studenten scheren sich nicht um die Worte der Studentenführer und Vorsitzenden der Islamischen Vereine, stattdessen brechen sie auf und ziehen in die Hauptstraßen Teherans, wo sie bis zwei Uhr morgens weiter demonstrieren.
Am Sonntag, den 11.7.99 versammeln sich die Studenten erneut in der Uni und vor dem Studentenviertel. Inzwischen sind es 20.000 demonstrierende Studenten, die in einer friedlichen Demo zum Innenministerium ziehen. Dort fordern sie von den Verantwortlichen die Verhaftung der Angreifer auf die Studentenwohnhäuser und marschieren dann weiter zur staatlichen Nachrichtenagentur, um so ihre Forderungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Auch an diesem Tag endet die Demonstration ohne nennenswerte Vorfälle.
Am Montag, den 12.7.99, gehen die Proteste weiter. Nun unterstützen auch die Unis in Schiras, Maschhad, Tabris, Isfahan und anderen Städten mit öffentlichen Erklärungen die Forderungen der Studenten in Teheran, einige kommen sogar nach Teheran, um ihre Solidarität zu bekunden. Um 14 Uhr eröffnet die Garde zur Aufstandsbekämpfung den Angriff auf die demonstrierenden Studenten. Gleichzeitig stürmen auch die Schlägertrupps, die auf dem Motorrad daherbrausenden Stoßtrupps der Hesbollah und andere Kräfte der Konservativen die Kundgebungsszene. Und weil die Studenten sich wehren und die Angriffe mit Steinen und Stöcken erwidern, werden aus der Luft Hubschrauber eingesetzt, die Tränengaspatronen in die Menge schießen. Viele Studenten erleiden Verbrennungen und haben Erstickungsanfälle. Die Garde zur Aufstandsbekämpfung, die Schläger und Messerstecher der Hesbollah stürzen sich auf die Studenten, fliehende oder kämpfende Menschen kennzeichnen das Ende der Demonstration.
Noch in derselben Nacht beginnt eine Razzia mit Massenverhaftungen und Folterungen, jede Versammlung und jede Kundgebung wird vom Staat verboten, wie Radio und Fernsehen ständig verkünden. Aber trotz des Verbots, trotz der Gegenwart der Spezialeinheiten der Polizei und der Hesbollahis demonstrieren am Dienstag Tausende von Studenten auf dem Unigelände und dem Basar von Teheran, Tausende normaler Bürger, vor allem Jugendlicher, schließen sich ihnen an.
Am selben Tag werden Stoßtrupps aus dem Dunstkreis der Hesbollah in alle Richtungen ausgesandt, damit sie - zivil gekleidet und Parolen der Studentenbewegung im Munde führend - Geschäfte anzünden und Banken stürmen. Das ist das Zeichen zum Angriff: Nun setzt die Regierung alle ihre Mittel ein, um die Studentendemos an verschiedenen Orten Teherans zu attackieren und die Proteste niederzuknüppeln. Laut amtlichen Angaben der Islamischen Republik wurden an diesem Tag 1600 Studenten verhaftet, vier getötet und 400 Menschen verletzt. Inoffizielle Quellen sprachen dagegen von einer viel höheren Zahl von Opfern.
Vier Monate später wurden eine Studentin und drei Studenten zum Tode, und Hunderte von Studentinnen und Studenten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Aber schon jetzt kommt es an iranischen Unis wieder zu Sitzstreiks und Protestreden. Es scheint, als ob die Studentenbewegung nach einer kurzen Ruhepause wieder zum Kampf angetreten ist.
Die Islamische Republik musste neue Methoden entwickeln, um dieser Bewegung entgegenzutreten. Auf der einen Seite infiltrierte sie ihre Leute in die Studentenbewegung, auf der anderen hetzte sie ihnen die Hisbullah auf den Hals. Zugleich versuchte sie mit Druck, Verhaftung und Folter die Studenten zum Aufgeben oder zumindest zum Schweigen zu bringen, die keine Hisbullah-Anhänger waren.
Zur Überraschung der Behörden hatten die Festnahmen, das Gefängnis und die Folter genau die gegenteilige Wirkung auf die inhaftierten Studenten und ihre Angehörigen. In den vier vergangenen Jahren haben sich die Studenten auf eine noch umfassendere Protestbewegung gegen die Herrschaft der Mollas vorbereitet.
Am 10. Juni 2003 eröffneten die Studenten ihren Kampf genau in jenen Studentenwohnheimen, die vor vier Jahren brutal von Regime-Anhängern überfallen worden waren, und trugen ihre studienbezogenen Forderungen an die Öffentlichkeit. Die Proteste richteten sich anfänglich gegen die Privatisierung der Universitäten. Erst nach ein paar Stunden verwandelten sie sich in eine politische Kundgebung gegen die islamische Regierung und die Staatsführung. Die Protestbewegung ergriff immer mehr Universitäten und auch die Städte im gesamten Land. An den Demonstrationen nahm auch die jugendliche Stadtbevölkerung, d.h. besonders die Bevölkerung unter 20, aktiven Anteil. Die Ausweitung der Proteste und der landesweite Widerstand gegen die Unterdrückung führten dazu, dass der religiöse Führer des Landes, Ayatollah Chamenei, auf einer Ansprache vor Hisbullah-Anhänger in der Nähe von Teheran die Studenten und die demonstrierende Bevölkerung als iranische Agenten verurteilte und die Hisbullahis, die Bassidschi-Milizen, die Pasdaran und die Ordnungskräfte zur unbarmherzigen Niederschlagung dieser Bewegung aufrief. Trotz dieser brutalen Attacken, trotz der Ermordung von Studenten und trotz umfassender Verhaftungen ließen sich die Studenten nicht klein kriegen. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen erklärten sie einen Hungerstreik und eröffneten einen Sitzstreik auf dem Gelände der Universität. Der Hungerstreik wurde nach Art eines Stafettenlaufs der Reihe nach von jeweils einer anderen Uni für vier bis zehn Tage fortgeführt. Die meisten Teilnehmer des Hungerstreiks endeten im Krankenhaus. Um uns einen direkten Eindruck über das brutale Vorgehen der Behörden gegen die Studenten und die Bevölkerung zu verschaffen – ganz im Gegensatz zu dem, was beispielsweise der Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung schreibt, wollen wir hören, was Fateme Haqiqatju, Abgeordnete des iranischen Parlaments, als Vorsitzende einer Untersuchungsgruppe des Parlaments zu diesen Vorfällen, am 17. Juni 2003 von ihren Beobachtungen in den Studentenwohnheimen berichtet:
„Am 14. Juni um zwei Uhr morgens wurde das Studentenwohnheim ‚Alaame Tabaatabaai’ in der Nasr-Straße von einer großen Zahl von Personen in Zivilkleidung – die man nicht mehr als Moslems bezeichnen kann - unbarmherzig und grausam überfallen. Dies ruft den bitteren und beschämenden Vorfall des Jahres 1999 im Studentenwohnheim der Universität Teheran in Erinnerung. Bei der Besichtigung waren wir – ich und meine Mitarbeiter Begleitung des Rektors der Alaame-Tabaatabaai-Universität – Zeugen des Ausmaßes der Zerstörung und der Brutalität des Vorgehens. Über 90 Prozent der Türen des Wohnheims waren mit Pickeln, Eisenstangen und Holzknüppeln zerschlagen, Bücherregale, Telefone, Tische und die Privatsachen der Studenten zerstört worden. In einigen Fällen wurden auch Geld und Wertsachen der Studenten geplündert. Überall an den Wänden, auf den Korridoren, Treppen, Flachdächern und Sportplätzen sowie im Hof des Wohnheims waren die Spuren vergossenen Bluts zu sehen. Während des Gesprächs mit unschuldigten, geschlagenen Studenten sah ich ihre geschwollenen, blutigen Augen, ihre geschwollenen, aufgeplatzten Köpfe, ihre gebrochenen Arme und Köpfe.
Das Bitterste von allem: Selbst die Blinden blieben von dieser Attacke dieses Volks von Söldnern und Messerstechern, die an die Mongolenstürme des Mittelalters erinnert, nicht verschont...“
Zur Einschüchterung der Bevölkerung werden derzeit Gerüchte in Umlauf gesetzt, dass fünfzig Studenten hingerichtet werden sollen. In mehreren Städten wurde den Eltern einiger Studenten ein Sack mit der Leiche ihres Kindes übergeben, wobei sie strikt gewarnt wurden, keine Trauerfeier zu veranstalten und niemandem davon etwas zu sagen. Sonst würde sie das selbe Schicksal ereilen.
Einige charakteristischen Merkmale der Studentenbewegung des Jahres 2003:
ViSdP.: Ali Schirasi, c/o Georg Warning, PF 5303, D-78432 Konstanz
11.07.2003
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