Quelle: Schwäbische Zeitung 11. November 2003 | ||
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Der Iraner Ali Schirasi ist 1987 nach Deutschland geflüchtet. Sowohl der Schah auch die Mullahs hatten den Lehrer, der sich in seiner Heimat für die Bildung einer Lehrergewerkschaft, Demokratie und Menschenrechte eingesetzt hat, inhaftiert und gefoltert. Als Schriftsteller und Journalist unterhält Ali Schirasi heute noch Kontakte zur Opposition im Iran.
Von Fatima Majsoub
Herr Schirasi, woher wissen Sie, was gegenwärtig im Iran passiert?Meine politischen Freunde sind noch im Iran. Ich habe Kontakt zu Professoren an Universitäten, Studenten, Lehrern und Schriftstellern. Per Fax und Internet bekomme ich jeden Tag aktuelle Nachrichten über den Iran. Manche dieser Nachrichten werden im Iran oder auch im Ausland erst nach ein paar Wochen öffentlich, ich kann solche Nachrichten sofort bekommen. Zum Beispiel wissen Iraner, in welcher Kaserne Al-Qaida-Mitglieder im Iran ausgebildet werden. Die iranische Opposition im In- und Ausland weiß, wie Al-Qaida und Hisbullah-kämpfer organisiert sind und ihre Mitglieder in den Irak schicken.
Was bedeutet die Verleihung des Friedensnobelpreises an Schirin Ebadi für Ihr Land?Als ich es gehört habe, war es für mich wirklich unglaublich. Zuerst habe ich geweint, dann gelacht wie ein Kind, dann getanzt. Nach so langen 45 Jahren Kampf für Menschenrechte war es, als hätte ich selber den Preis bekommen. Es bedeutet, die Menschen finden nun den Mut, für ihre Menschenrechte zu kämpfen, Fachleute wie Anwälte, aber auch ganz normale Leute.
Hat sich bereits etwas verändert?Seit der Preisverleihung kann man interessante Nachrichten hören: Aus verschiedenen Städten im Iran kommen ganz normale Leute in die Ministerien, um ihr Recht zu bekommen. Zum Beispiel haben ein paar Tage lang bis letzten Sonntag Männer, Frauen und Kinder, die als Abordnung aus einer kleiner Stadt im Südiran nach Teheran kamen, vor dem Innenministerium einen Sitzstreik gemacht. Was auch ganz neu war: Die islamische Regierung hat ein großes Interesse an schwarzer Kleidung. Als Schirin Ebadi auf dem Teheraner Flughafen von ihrer Reise aus Paris ankam, waren dort Tausende Frauen in weißer Kleidung mit weißen Kopftüchern versammelt und hatten weiße Blumen bei sich. Weiß bedeutet Frieden. In Teheran waren an diesem Tag etwa 90 000 Menschen unterwegs, im Flughafen ungefähr 20 000. Dem gegenüber standen dort nur 40 Mitglieder der Hisbullah und der konservativen Seite. Sie hatten Angst angesichts der Massen und trauten sich nur geparkte Autos kaputt zu machen, aber nicht die Menschen anzugreifen.
Bereits Monate vor der Preisverleihung gab es zunehmend Proteste in der Bevölkerung, ausgehende von Studenten. Warum?Die Regierung wollte Studiengebühren einführen. Deshalb streikten im Juni Studenten in einem Studentenwohnheim in Teheran dagegen. Sie erhielten Unterstützung von Lehrern und anderen Gruppierungen. Zum ersten Mal nahmen auch Jugendliche unter 18 Jahren, Taxifahrer, Fabrikarbeiter teil. Alle Unis unterstützten die Aktion und streikten. Im ganzen Land war Unruhe, alle dachten, es kommt zu einer weiteren Revolution. Revolutionäre Wächter, die Hisbullah und Regierungsanhänger filmten alles, griffen dann eines Nachts an. Ungefähr 4000 Menschen wurden festgenommen. In der Regierungspresse hieß es, darunter seien nur 360 Studenten gewesen. Ein Regierungssprecher sagte, 40 Prozent der Festgenommen seien unter 18 Jahren alt. Viele sind immer noch im Gefängnis. Eltern und Familien gehen regelmäßig zu Ministerien und dem Parlament und fragen nach, streiken dort.
Wie reagiert die Regierung darauf?Ich denke, die Regierung hat Angst, den Gefangenen den Prozess zu machen. Sie ist unter großem Druck. Zum ersten Mal haben Inhaftierte einen Streik im Gefängnis organisiert. Eine Gruppe aus liberalen Parlamentariern aus sechs Leuten, darunter auch zwei Frauen, machten drei Tage lang einen Hungerstreik im Parlament. Sie wurden bedroht, aber nicht verhaftet. An jeder Uni im Iran gibt es in irgendeiner Form Streik. Nach den Hisbullah-Ausschreitungen gegen die Studenten ist der Kulturminister zurückgetreten, weil er sich schämte, dass Hisbullah und Miliär das Universitätsrecht so stark verletzten.
Auch früher gab es Proteste gegen das Regime, was ist das Neue an diesen Aktionen?Wer regelmäßig Kontakt hat, weiß, wie stark diese Bewegung für Menschenrechte und Demokratie wird und dass sie sich ausweitet. Wenn sich früher jemand an der Uni oder in einem Dorf zur Wehr gesetzt hatte, wussten das nur wenige, es wurde nicht öffentlich. Jetzt wissen sie, die Sache kommt sofort in die Öffentlichkeit, ins Ausland, wo Einzelne und Organisationen helfen können. So haben die Menschen Mut bekommen und machen weiter. Das andere ist, weil die Aktionen im ganzen Iran zunehmen, können Geheimdienst und konservative Gruppen sie nicht alle unterdrücken. Die Machthabenden haben Angst.
Sie arbeiten nicht nur mit amnesty international zusammen und halten Vorträge, Sie schreiben auch Märchen. Hat das einen Grund?Persische Märchen sind normalerweise keine neutralen Märchen. Es gibt welche, die mit Philosophie zu tun haben oder mit Politik, manche sind rein kulturell. Die meisten Märchen richten sich irgendwie gegen Machthaber, egal welche. Die Perser waren früher Anhänger Zarathustras und wurden mit Gewalt zum Islam gebracht. Deswegen gibt es viele Märchen gegen Kalifen und gegen die islamischen Heiligen. Zeitweilig waren sie verboten. Es gibt immer Gelegenheiten, bei Hochzeiten oder Geburtstagen, bei welchen jemand diese Märchen erzählt. Auch wer nicht in der Schule war, hat so hochinteressante Geschichten im Kopf. Diese Märchen vermitteln, wie man sich vor diesen Machthabern in einem Dorf oder in einer Stadt retten kann. Märchen sollen vor allem Hoffnung geben.
Wie kann es im Iran weiter gehen?Ein weiterer Putsch geht nicht, im Iran herrscht keine zentrale Regierung. Es ist wie ein Feudal-System. Jede große Stadt hat einen eigenen Rechtsgelehrten, der wie ein Monarch herrscht, er schuldet Chameini keinen Gehorsam. Ich habe dennoch große Hoffnung, weil ich sehe, die iranische Regierung wird nicht mehr von Europa und den USA unterstützt. Vor kurzem hat Iran das Atomwaffen-Verbot akzeptiert. Diese Entscheidung hat die konservative Gruppierung gespalten, uneins gemacht und damit geschwächt. Die iranische Politik ist jetzt in einer Sackgasse.
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sw, 16.5.03