linksrhein Quelle: Südkurier, 4. März 2005
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Die Hölle von innen sprengen

„Weder Kopftuch noch Handgranate“: Neuer Roman von Solaleh und Ali Schirasi

Von Claudia Rindt

Ein Leben in Unterdrückung: In „Weder Kopftuch noch Handgranate“ schildern Ali und Solaleh Schirasi, wie ein iranisches Schulmädchen in die studentische Widerstandsbewegung hinein wächst. Bild: Rindt

Die Fenster vergittert und mit weißer Farbe übertüncht. „Kein Blick eines Unbefugten sollte die Ehre der islamischen Gesellschaft beschmutzen“, heißt es über die Mädchenschule Schahid-Alamdar in Teheran. Es ist die Schule von Simin, der Hauptfigur im neuen Roman des in Konstanz lebenden iranischen Schriftstellerehepaars Ali und Solaleh Schirasi. „Weder Kopftuch noch Handgranate“ schildert, wie die Schülerin Ende der 90er-Jahre in die studentische Protestbewegung hineinwächst.

Simin lebt in einer „erstickenden Atmosphäre“ von Kontrolle, Unterdrückung und Angst vor schweren Strafen sowie den paramilitärischen Überwachungstruppen der Regierung. Sie muss ihren Körper verhüllen und jeden kleinen Spaß verheimlichen. Simin erlebt, wie für ihre Freundin Roya ein kleiner Flirt zum tödlichen Drama wird. Weil sie mit einem Jungen gesehen wurde, soll sie ein Jungfräulichkeitszeugnis beibringen. Aus Verzweiflung über das entehrende Verfahren zündet sich das Mädchen selbst an.

Roya erliegt den schweren Verletzungen. Die Eltern konnten das Geld für die Behandlung im Krankenhaus nicht aufbringen. „Sie war sowohl ein Opfer des Fanatismus, als auch der Armut. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden wäre, auf jeden Fall muss sich was ändern“, stellt Simin fest. Sie beginnt, sich für bessere Lebensverhältnisse und Freiheitsrechte einzusetzen, hofft auf die Reformideen des heutigen Präsidenten Chatami und erlebt das blutige Niederschlagen von Kundgebungen.

„Auch diese Generation kam irgendwann zu dem Punkt: So kann man nicht leben“, stellt Solaleh Schirasi fest, die zusammen mit ihrem Mann Mitte der 70er- und 80er-Jahre im Iran politisch für Freiheitsrechte kämpfte. Auf kleinen Blättern, die sich versteckt am Körper tragen und notfalls auch schnell schlucken ließen, schrieben sie verbotene Texte ab und verteilten sie, darunter auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Deswegen saßen sie im Gefängnis. Sie zwei Jahre lang, ihr Mann insgesamt sieben Jahre. 1987 gelang beiden die Flucht aus dem Iran. Das Schriftsteller-Ehepaar Solaleh und Ali Schirasi lebt in Konstanz unter Pseudonym. „Anfangs hatten wir Angst, unter richtigem Namen zu veröffentlichen“, sagt Solaleh Schirasi. Der Arm des iranischen Geheimdienstes reichte weit. Es habe auch in Deutschland Morde an geflüchteten Oppositionellen gegeben. Erst seit wenigen Jahren fühlten sie sich etwas sicherer.

Das Wiederaufflammen der studentischen Protestbewegung in den 90er-Jahren deutet Solaleh Schirasi als Beweis für das Scheitern des Lebenslust unterdrückenden Zwangssystems. „Alle menschlichen Gefühle waren nicht erlaubt.“ Dazu kam die Wut über Korruption, Unterschlagung, Seilschaften und schlechte Lebensbedingungen. Trotz strenger Auswahlverfahren, die Freidenker von der Universität fernhalten sollten, bildete sich eine neue Studentenbewegung. „Deine Generation ist gerade dabei, diese Hölle von innen zu sprengen“, heißt es am Ende des Romans über junge Menschen im Iran.

Solaleh und Ali Schirasi „Weder Kopftuch noch Handgranate“, Schardt Verlag Oldenburg, ISBN 3-89841-147-8; Zum Thema Frauen im Islam spricht Solaleh Schirasi am heutigen Donnerstag, 3. März, um 19.30 Uhr in der Volkshochschule Singen.

Iran
1997 war Präsident Chatami als Reformer im Iran angetreten. Er sprach von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. Doch im Machtkampf mit dem obersten Geistlichen Chamenei zog er den Kürzeren. Bei den Parlamentswahlen im Februar vergangenen Jahres errangen die Konservativen die absolute Mehrheit. Viele Reformer waren schon im Vorfeld von der Wahl ausgeschlossen worden. Damit scheint die Reform von Oben gescheitert zu sein. Konservative kontrollieren derzeit den Wächterrat, Militär, Milizen, die Justiz und das Parlament. Doch die Bevölkerung gilt als sehr unzufrieden, leidet unter Maßregelungen und schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen. (rin)

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sw, 6.3.05