linksrhein
  Startseite politische Texte zurück  weiter 

Ist die Islamische Republik Iran reformfähig?

Gerade hat die deutsche Regierung den Besuch des Präsidenten der Islamischen Republik Iran ohne größere Zwischenfälle über die Bühne gebracht und widmet sich nun der Festigung und Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran. Die deutsche Bundesregierung und fast die gesamte deutsche Medienlandschaft hat sich darauf eingespielt, die Regierung der Islamischen Republik Iran in zwei Flügel einzuteilen, die Liberalen oder Reformer und die Konservativen. Dabei unterstützen sie den iranischen Präsidenten Chatami als Führer der Liberalen und Reformisten und vermelden auch einige größere Geschäftsabschlüsse (so die Firma Linde). Nur stimmt die beliebte Einteilung der iranischen Regierung in zwei Flügel nicht mit den Realitäten der iranischen Gesellschaft überein, denn erstens gibt es nicht zwei, sondern eine ganze Reihe von Flügeln, und zweitens ist es an den Haaren herbeigezogen, einen der Flügel als liberal oder reformistisch zu titulieren. Wer so schreibt, hat entweder seine Augen vor der Wirklichkeit verschlossen oder aber er sieht die Realität so, wie er sie gerne sehen möchte.

Ich will nun nicht hingehen und beweisen, dass der eine Flügel nicht liberal, sondern konservativ sei. Vielmehr geht die ganze Einteilung in liberal und konservativ an der inneren Logik der Islamischen Republik Iran vorbei.

Mein Ziel ist, eine Antwort auf folgende Frage zu geben

Ist das System der Islamischen Republik Iran reformfähig?

Punkt 1: Wenn in einer Gesellschaft die Unruhe oder Unzufriedenheit in der Bevölkerung so gewachsen ist, dass die Menschen in kleinen Orten ebenso wie in Großstädten aufbegehren und immer häufiger auf die Straße gehen, heizt sich das politische Klima derart auf, dass der Weg der Reformen oder punktuellen Verbesserungen versperrt bleibt. Dass die Lage im Iran so weit gediehen ist, will ich an einigen Beispielen aus dem Vorfeld der Chatami-Reise nach Deutschland illustrieren.

Die Schilderung sämtlicher Proteste und Unruhen in den verschiedenen iranischen Städten, die sich im Juni und Juli dieses Jahres und in der Zeit davor ereignet haben, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aber die drei zitierten Beispiele zeigen, wie gespannt die politische Lage im Land und wie groß der Unmut in der Bevölkerung ist. Zumal die Proteste nicht nur häufiger werden, sonder auf jede Welle eine noch mächtigere Welle folgt. Eine persische Redewendung beschreibt das wie folgt: Wenn wir einen Kessel aufs Feuer stellen und das Wasser noch lauwarm ist, kann man noch mit der Hand die Zutaten rausfischen oder etwas dazu tun. Aber wenn die Suppe erst richtig brodelt, kann man weder feststellen, was drin ist, noch reingreifen, es sei denn, man will sich die Finger verbrennen. Der iranische Kessel ist am Brodeln und für Reformen - zumal durch Eingriff der Mullas - ist es spät geworden.

Punkt 2: Diktatorische Regierungen im allgemeinen und die iranische im besonderen haben wenig Neigung zu Reformen, solange sie von der Bevölkerung nicht unter Druck gesetzt werden. Und wenn sie schon zu Reformen gezwungen sind, können selbige nur dann vonstatten gehen, wenn die Macht an der Spitze konzentriert ist und die Zentralgewalt den Reformdruck akzeptiert. Nur - im Iran gibt es keine solche Zentralgewalt, die Macht ist zwischen verschiedenen Institutionen aufgeteilt: Dem religiösen Führer Chamenei, dem Expertenrat, dem Wächterrat, dem Rat zur Wahrung der Interessen der staatlichen Ordnung und den Freitagspredigern in den Klein- und Großstädten. Diese Institutionen sind fest in den Händen der Mullas und Ayatollahs. Neben den religiösen Machtzentren gibt es noch die Pasdaran (Revolutionswächter), die politisch-militärisch-religiösen Charakter besitzen, da ihre Führer sich bei der Ausübung politischer Macht und der Befugnis zur Auslegung des Korans nicht weniger Rechte zugestehen als ein Ayatollah; ein weiterer Machtblock ist der Geheimdienst, der den anderen nicht zurücksteht. Dann gibt es noch die Basarhändler, die die wirtschaftliche Hauptschlagader des Landes in den Händen halten und sich gleichfalls nicht geringer einstufen als ein Ayatollah.

Diese multipolare Machtverteilung, die ganz im Einklang mit den Prinzipien und der Geschichte des Schiitentums steht, hat dazu geführt, dass das iranische System sich aus mehreren diktatorischen Machtbastionen zusammensetzt, die nur in einer Frage - der Erhaltung ihrer Macht und dem Fortbestand der Diktatur - einig gehen. Kommt die Rede dagegen auf Reformen, bringen sie weder den Willen noch die Einigkeit auf, sie durchzuführen, so dass Reformen von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Denn wer wollte sie gegen den Willen der anderen Machthaber umsetzen?

Punkt 3: Reformen sind in einer Gesellschaft dann machbar und erfolgversprechend, wenn die Wirtschaft dieser Gesellschaft ein Mindestmaß an Stabilität besitzt. Existiert dieses Mindestmaß an Stabilität im Iran? Gegenwärtig wird im Iran fast täglich eine Fabrik dichtgemacht, die Arbeiter vergrößern das Heer der Arbeitslosen. Die Dürre und der Wassermangel hat viele Bauern in den Ruin getrieben, die Inflation steigt nicht mehr von Monat zu Monat, sondern von Woche zu Woche, die Regierung Chatami konnte bis jetzt auch kein Wirtschaftsprogramm realisieren und ist in diesem Bereich in eine Sackgasse geraten.

Der private und der staatliche Wirtschaftssektor sind zwischen den verschiedenen Machtzentren im Iran aufgeteilt, viele besitzen auch eine unabhängige wirtschaftliche Hausmacht. So sind die Pasdaran einerseits ein militärisch-politischer Machtfaktor, kontrollieren jedoch direkt und indirekt auch zahlreiche Unternehmen im Bereich Produktion, Vertrieb, Export und Import. Auch der iranische Geheimdienst ist an diversen Unternehmen beteiligt und im Außenhandel vertreten. Viele Firmen des produzierenden Gewerbes wie auch in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor sind in den Händen von Geistlichen, und jeder von den Mullas, Hodschatolleslams und Ayatollahs hat in Abhängigkeit von seiner Stellung auch seine Leibwächter; Pasdaran, Hesbollahgruppen und Bassidschis, sogenannte Freiwilligenmilizen in der Stadt, in der er residiert. Und da keiner von ihnen dem anderen über den Weg traut, organisiert jeder seine Truppen mit Leuten seines Vertrauens. Um sich diese Leibwächter, Pasdaran, Hesbollahis und Bassidschis zu halten, muss er über ein entsprechendes Einkommen verfügen. Dies ist der Grund, warum sich jeder Einfluss auf bestimmte Wirtschaftseinrichtungen verschafft und unternehmerisch tätig wird. Wie kann bei dieser Art zu wirtschaften irgendein Modernisierungs- oder Reformprogramm greifen?

Die iranischen Herrscher sitzen auf einem Vulkan, dessen brodelnde Massen sich einen Weg ins Freie suchen. Welcher ausländische Kapitalgeber, welcher inländische Unternehmer würde in so einer explosiven Lage sein Geld in grundlegende, langfristige Projekte anlegen? In diesem Zusammenspiel von Wirtschaftsmafia, Teuerung, Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüchen ist kein Platz für Reformen.

Punkt 4: Machthaber sind gewöhnlich dann zu Reformen bereit, wenn sie sich auf diesem Weg ihre Macht erhalten oder an der künftigen Regierung beteiligt sind oder sich zumindest für den Rest ihres Lebens in eine sichere Ecke zurückziehen können. Den iranischen Machthaber steht keine dieser Alternativen offen.

Die führenden Männer des Regimes wiederholen sich immer wieder beim Freitagsgebet, in ihren öffentlichen Reden und Interviews, wenn sie erklären, dass es für sie nur einen Weg gibt: Die Fahne des Islams bis in den Tod hochzuhalten. Denn sie wissen, dass sie den Iran im achtjährigen Krieg mit dem Irak ruiniert haben, Millionen Menschen in den Tod getrieben oder zum Invaliden oder zum Obdachlosen gemacht haben, Hunderttausende hingerichtet haben, dass sie Massaker an der Bevölkerung von Kurdistan, von Turkaman-Sahra und von Belutschistan verübt haben, dass sie Schulen, Moscheen und Sportclubs in Gefängnisse verwandelt haben, dass sie laufend Intellektuelle und Schriftsteller umbringen, ja sogar im Ausland Terroranschläge gegen Regimegegner verüben.

Die Machthaber in den politischen, religiösen, wirtschaftlichen und militärischen Machtzentren haben immer erklärt, dass sie das alles für den Islam getan haben und sie ihr Leben für den Islam geben werden, da gebe es keinen Schritt zurück.

Angesichts der obigen Ausführungen lässt sich wohl behaupten, dass das System der Islamischen Republik nicht reformfähig ist und wenn jemand wie Chatami und sein Kabinett oder das neue Parlament von Reformen redet, geht es nicht um echte Reformen im Bereich der politischen Rechte und Freiheiten, um eine Reform der Verfassung, um eine Reform der Justiz- und Vollzugsorgane oder eine Beschneidung der Macht des religiösen Führers. Vielmehr hat er die Parolen, Forderungen und Wünsche des iranischen Volkes aufgegriffen, um die explosive Kraft der gesellschaftlichen Unruhe zu kanalisieren und schließlich zu neutralisieren. Die Forderung nach Reformen ist so in Mode gekommen, dass selbst der religiöse Führer der Islamischen Republik, Ali Chamenei, das Wort im Munde führt und jüngst ein Dekret erlassen hat, dass ein einheitliches Zentrum geschaffen werden solle, dass die Reformen lenkt und verwaltet. Eine solche Institution ist das Ende der Mär, wonach sich die Islamische Republik reformieren lässt.

Übersetzung aus dem Persischen von Georg Warning, PF 5329, D-78432 Konstanz e-mail 320035641878-0001@t-online.de - Konstanz, den , 24.07.00

  Startseite zurück  weiter 

sw, 8.8.00