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Der Prinz und sein Kampfhahn

Vor sechstausendsechshundertsechsundsechzig Jahren, an einem Frühlingstag, an dem die Sonne die Erde mit ihren Strahlen erwärmte und Vögel mit lieblichem Gesang die Schönheit des Morgens feierten und sich gegenseitig die Botschaft der Liebe zusandten, erwachte ein Prinz vom Zwitschern und Jubilieren der Vögel und ging auf den Balkon seines Palastes, um die frische Frühlingsluft einzuatmen. Aber statt dass das Gold der Sonne, das zarte Streicheln des Windes, der Duft der bunten Frühlingsblumen in ihm das Gefühl der Liebe erweckte, erwachte in ihm der Jagdtrieb. Und dieser Wunsch wurde so stark, dass er seinen Diener befahl, alles für die Jagd vorzubereiten.

Sobald die Diener den Befehl ihres Herren vernommen hatten, erteilten sie ihrerseits ihren Untergebenen Anweisungen. Und die, nicht faul, sagten den Nächsttieferen, was sie zu tun hätten. So wurden in alle Richtungen Herolde ausgesandt, um zu verkünden, dass der Prinz auf Jagd gehe.

Die Sonne warf im Osten ihre hellen Strahlen, als der Prinz auf sein weißes Rennpferd stieg, das eine prächtige, lange Mähne trug. Gemeinsam mit seinen fünfhundertfünfundfünfzig Begleitern - kriegerischen Reitern, Jägern, Meisterköchen, berühmten Musikern, Sängerinnen und lieblichen Tänzerinnen und Windhunden - brachen sie auf zur Jagd.

Die Sonne hatte den Höhepunkt ihrer Bahn erreicht und spendete der ganzen Erde ihre Wärme, als die Jagdgesellschaft ihr Ziel erreichte. Auf Befehl des Prinzen schlugen sie ihr Lager am Ufer eines wunderschön gelegenen Sees auf. Rasch wurden Zelte errichtet, Feuerstellen eingerichtet, um Essen zu kochen, und die Köche gingen ans Werk.

Die Sängerinnen und Tänzerinnen bereiteten sich vor, um den Prinzen mit ihren Künsten zu erfreuen.

Der Prinz dagegen war schon ganz ungeduldig und wollte sofort jagen. An diesem Tag hatte er den Wunsch, allein auf die Pirsch zu gehen. Deshalb schickte er die Jäger nach Osten, während er mit seinem weißen Pferd nach Westen galoppierte. Der Prinz wollte erst ein paar Vögel erjagen, aber die Vögel flogen auf, bevor er nahe genug herankam, oder aber sein Pfeil verfehlte das Ziel. Da der Prinz mit den Vögeln in der Luft kein Glück hatte, verlegte er sich aufs Jagen vierfüßiger Beute. Aber auch hier war ihm das Glück nicht hold. So ließ er das Jagen schließlich sein, ohne dass er etwas erlegt hätte. Im Köcher war ihm nur noch ein Pfeil verblieben. Ermattet legte er sich zu Füßen eines alten Baumes, und bald entführte ihn der Schlaf.

Als er erwachte, ging die Sonne gerade unter, und er eilte zu seinem Pferd, um aufzusteigen und zu seinem Lager zurückzukehren. Plötzlich fiel sein Blick auf ein Reh und ihr Kitz. Er beschloss, den letzten Schuss zu versuchen. Damit er das Ziel diesmal nicht verfehlte, näherte er sich der Mutter und ihrem Kitz, indem er sich hinter den Büschen versteckte und sich vorsichtig heranschlich. Aber so sehr er sich bemühte, er kam nicht näher an sie heran. So erreichte das Reh und ihr Kind das Ufer des Sees. Erst tranken sie Wasser, dann begannen sie hinauszuschwimmen. Die beiden schwammen wie Menschen. Das Rehkitz spielte mit seiner Mutter im Wasser, wie das auch die Menschenkinder tun.

Der Prinz zog den letzten Pfeil aus dem Köcher, legte ihn in den Bogen und zielte auf das Reh. Aber der Schuss ging daneben und traf das Rehkitz. Als das Blut des Kleinen sich in das Wasser des Sees ergoss, stieß das Reh einen Schrei aus, und der See begann, Wellen zu schlagen. Große Wellen schlugen gegen das Ufer, dort, wo der Prinz sich hinter den Büschen versteckt hatte. Vor Angst warf der Prinz sein Schwert, seinen Schild, die Keule und alles, was er hatte, zu Boden, um sich vor den Wellen zu retten. Aber die Wellen gaben nicht auf, und fast hätten sie den Prinzen unter sich begraben, als er einen uralten Baum erreichte. Dort wollte er auf sein Pferd steigen und die Flucht ergreifen. Aber sein Pferd war fort.

Der Prinz, den die Wellen fast eingeholt hatten, kletterte den alten Baum hoch. Das Wasser überflutete alles. Die Nacht war so finster, dass der Prinz überhaupt nichts sehen konnte. Er hörte nur das Rauschen der Wellen, die unermüdlich gegen den Baumstamm schlugen. Gegen Mitternacht kam ein Wirbelsturm auf, der mit ungestümer Kraft auch den uralten Baum mit seinen Wurzeln ausriss und durch die Luft davonwirbeln ließ. Der alte Baum drehte und überschlug sich in diesem Orkan, der ihn nach Westen trug.

Gegen Morgen ließ der Sturm allmählich nach, und der alte Baum fiel viele Tausend Meilen vom Königreich des Prinzen entfernt in der Nähe eines Dorfes zur Erde. Als die Sonne aufging, bemerkten die Dorfbewohner, dass der Orkan einen riesigen, alten Baum bis vor's Dorf getragen hatte. Alle eilten dorthin, um sich den Baum von Nahem anzusehen. Da erblickten sie in seinem Geäst einen jungen Mann, dessen Kleider zerfetzt und zerrissen und dessen Leib von Wunden übersät war, so dass er dem Tode nahe schien. Die Dorfbewohner trugen ihn ins Dorf und pflegten ihn abwechselnd 44 Tage lang. Sie behandelten ihn mit Heilkräutern, bis er wieder ganz gesund war.

Zwar war der junge Mann wieder gesund und munter und sprach die selbe Sprache wie die anderen und verstand ihre Worte, aber er konnte sich an seine Vergangenheit nicht mehr erinnern. Die Menschen im Dorf wählten deshalb einen Namen für ihn aus und nannten ihn von nun an Sassan. Einige Zeit später gaben sie ihm eine hübsche, junge Frau namens Schirin zur Frau und feierten sieben Tage und sieben Nächte das Hochzeitsfest. Jeder brachte dem Brautpaar ein Geschenk mit. Sassan und Schirin begannen in dem kleinen Häuschen zu leben, das das Dorf ihnen geschenkt hatte. Einige Tage nach der Hochzeit begann Sassan, auf dem Feld zu arbeiten, und rasch lernte er von den andern die Tricks und Kniffe der Bauern. Sassan pflügte das Stück Land, das er bekommen hatte, gut um, säte einen guten Samen, und machte eine ganze Zeitlang alles, was zu tun war, aber trotzdem sprießte kein grüner Halm aus dem Boden. Das junge Ehepaar war gezwungen, einige ihrer Hochzeitsgeschenke zu verkaufen, um sich über Wasser zu halten.

Sassan ließ nun sein eigenes Land brach liegen und verdingte sich bei anderen Bauern als Feldarbeiter. Aber - wo immer Sassan den Boden umstach und arbeitete, gedieh nichts mehr. Und selbst wenn auf der Erde schon etwas wuchs oder ein ausgewachsener Baum dastand, wurde alles unfruchtbar und verdorrte. Die Bauern redeten hinter Sassans Rücken darüber und kamen zum Schluss, dass er verflucht sein musste... Aus diesem Grund gab ihm keiner mehr Arbeit, so dass er arbeitslos wurde. Die Arbeitslosigkeit und das harte Leben machten Sassan ganz krank. Da kam ihm Schirin zu Hilfe. Sie schlug vor: "Es bringt ja nichts, die ganze Zeit zu Hause rumzusitzen und Trübsal zu blasen. Komm, geh in ein anderes Dorf oder in die Stadt, vielleicht findest du dort eine andere Arbeit."

Am nächsten Tag packte Sassan seine Sachen und machte sich auf den Weg. Aber in keinem Dorf konnte er Arbeit finden, und auch aus der Stadt kehrte er unverrichteter Dinge wieder zurück. Allmählich hatten sie ihren ganzen Besitz verkauft, nur Arbeit hatte er noch immer keine. Sassan wurde von Tag zu Tag trauriger. Er sah keinen Ausweg aus seinem Unglück. Jeden Tag hockte er sich in eine Ecke und fraß den Kummer in sich rein. Er hatte keine Idee, was er noch tun könnte. Schließlich fasste sich Schirin ein Herz und sagte zu ihm: "Komm, es hat keinen Sinn, wenn du nur in einer Ecke hockst und trauerst. Das bringt uns kein Brot und kein Wasser. Komm, steh auf und suche alles zusammen, was wir im Haus haben und sich verkaufen lässt und bringe es auf den Markt, damit wir wenigstens nicht verhungern!"

Sassan antwortete: "Alles, was einen Wert hatte und zu verkaufen war, haben wir schon verkauft. Jetzt ist uns doch gar nichts mehr geblieben, was ich auf den Markt tragen könnte."

Schirin erwiderte: "Doch, wir haben noch etwas, was du in der Stadt verkauften kannst."

Sassan fragte: "Was denn?"

Statt einer Antwort ging Schirin zu ihrer Truhe und holte das Brautkleid hervor. Sie bündelte es zusammen und gab es Sassan, damit er es in der Stadt verkaufen könne. Aber das widerstrebte Sassan. Er fand, dass das Hochzeitskleid die schönste Erinnerung in ihrem Leben sei und ihre Probleme nicht dadurch gelöst würden, wenn er es verkaufte. Mit seinem Erlös könnten sie auch nur ein paar Tage leben.

Zu guter Letzt gewann Schirins Beharrlichkeit die Oberhand über Sassans Widerstand, so dass Sassan ihr gehorchte, das Bündel mit dem Hochzeitskleid nahm und sich auf den Weg zur Stadt machte.

Unterwegs traf er einen Mann, der mit einer Kuhherde seinen Weg kreuzte. Der Hirte fragte Sassan, ob er in seinem Bündel einen Bissen Brot habe. Sassan verneinte. "Ich habe in meinem Bündel was zum Verkaufen.", sagte er. Der Hirte wollte unbedingt sehen, was er da mit sich trug.

Sassan, der dachte, dass er vielleicht einen guten Kunden gefunden habe, knotete das Bündel auf und zeigte dem Hirten das Hochzeitskleid. Die Kleidung gefiel dem Hirten. Er sagte: "Es ist ein Jammer, dieses schöne Kleid gegen Geld einzutauschen. Ich gebe dir dafür eine Kuh, die Milch gibt und schwanger ist. Mit dem Verkauf ihrer Milch kannst du dein tägliches Brot verdienen und bald bekommst auch noch ein Kälblein."

Erfreut nahm Sassan die Kuh an und kehrte ins Dorf zurück.

Unterwegs machte er sich jedoch Gedanken, wie er die Kuh füttern könne, wo er das Heu für sie besorgen könne. Und er fragte sich: "Und was, wenn die Kuh keine Milch mehr gibt, was dann?"

Diese Grübeleien veranlassten ihn, zu der Stelle zurückzukehren, wo er den Kuhhirten gesehen hatte. Aber von der Kuhherde und vom Hirten war nichts mehr zu sehen. So machte sich Sassan weiter auf den Weg zur Stadt, um dort vielleicht die Kuh zu verkaufen.

Unterwegs stieß er auf einen Mann, der eine Herde mit Kälbern vor sich her trieb. Er fragte ihn nach dem Mann mit der Kuhherde. Dabei erzählte er ihm auch von seinem Geschäft mit dem Hochzeitskleid. Der Mann mit der Kälberherde gab an, nichts von dem Kuhhirten zu wissen, und fuhr fort: "In der Stadt ist es schwer, eine Kuh zu halten, die Milch gibt. Für sie wirst du dort gewiss keinen Käufer finden. Aber ein Kalb wird in der Stadt schnell gekauft, weil sein Fleisch beliebt ist. Er konnte Sassan überzeugen, ihm die Kuh zu geben und dafür ein Kalb zu nehmen. Nachdem Sassan das letzte Dorf vor der Stadt durchquert hatte, begegnete er einem Hirten, der reden konnte, dass ihm der Honig von der Zunge tropfte. So tauschte er sein Kalb gegen eine Ziege.

Mit der Ziege erreichte er den ersten Marktplatz in der Stadt. Aber dort herrschte so hektisches Treiben, dass Sassan nicht wusste, wie er mit seiner Ziege durch dieses Gedrängel kommen und einen Kunden dafür finden sollte. In diesem Moment sah er einen Mann, der einen Hahn unter den Arm geklemmt hatte und laut rief: "Ein Kampfhahn, ich verkaufe einen Kampfhahn."

Sassan, der keine Ahnung hatte, wollte von ihm wissen, wozu ein Kampfhahn gut sei und mit wem er denn kämpfe. Der Besitzer des Hahns warf einen Blick auf Sassan und seine Ziege und sagte: "Du kannst mit dem Hahn von einem Marktplatz zum andern ziehen, mit den anderen Hahnenbesitzern, die darauf warten, einen Wettpartner zu finden, eine Wette abschließen, und dann kriegst du sowohl von den Zuschauern Geld und von der gewonnenen Wette dazu. Ein Hahn ist kleiner als eine Ziege und braucht auch nicht so viel zu essen."

Sassan freute sich sehr und dachte bei sich: Das ist ja ausgezeichnet. So habe ich gleich einen Beruf. Da kann ich jeden Tag vom Dorf in die Stadt kommen, mit anderen Wetten abschließen und so mit Hahnenkämpfen mein Brot verdienen.

Mit diesem Gedanken tauschte er seine Ziege gegen den Hahn.

Auf dem nächsten Platz sah Sassan eine große Menschenmenge, die einen Kreis bildete. In der Mitte kämpften zwei Hähne gegeneinander. Der Mann, der bei den Zuschauern Spenden einsammelte und den Hahnenkampf kontrollierte, ging auf Sassan zu und forderte ihn auf, seinen Hahn in die Kampfarena zu schicken.

In der Hoffnung auf einen Sieg lies Sassan seinen Hahn los, aber schon bei der ersten Attacke der beiden anderen Kampfhähne suchte Sassans Hahn verwundet das Weite. Sassan nahm seinen Hahn wieder unter den Arm und ging mitten in den Basar.

Ein Hutverkäufer stand vor seinem Laden und hielt Ausschau nach leichtgläubigen Kunden. Als er Sassan erblickte, lud er ihn ehrerbietig ein, doch in seinen Laden zu kommen und mit ihm einen Tee zu trinken.

Sassan, der ziemlich ermüdet war, nahm das Angebot dankend an. Nach dem Tee erhob er sich, um zu gehen. Doch der Hutverkäufer fragte ihn nach dem verletzten Hahn, und als Sassan ihm erzählte, was passiert war, meinte der Hutverkäufer:

"Der Hahn lebt höchstens noch ein paar Stunden. Du kannst dir dafür einen Hut aussuchen und mir den Hahn dalassen, dann brate ich ihn heute abend."

Sassan willigte notgedrungen ein. Der Verkäufer suchte ihm eine bunte Mütze mit Quaste aus. Als Sassan sie sich aufsetzte und sich im Spiegel anschaute, war er ganz begeistert davon. Er behielt die Mütze auf und verabschiedete sich vom Verkäufer. Dann machte er sich auf den Heimweg.

Unterwegs überkam ihn ein großer Durst, und als er einen Fluss erreichte, legte er sich auf die Erde und beugte sich mit dem Gesicht ins Wasser, um zu trinken. Dabei fiel ihm die Mütze ins Wasser. Die Strömung war stark, und bald war die Mütze außer Sicht.

Hilflos und verwirrt näherte sich Sassan seinem Dorf, aber er schämte sich, mit leeren Händen heimzukehren. Er hatte Angst, dass die Bauern ihn auslachen würden. Deshalb trieb er sich in der Umgebung des Dorfes herum und wartete, bis es dunkel wurde.

Gegen Mitternacht, als es ganz finster war, wollte Sassan von hinten ins Dorf gehen. Aber als er so langsam vorwärts schlich und immer acht gab, dass ihn niemand sah, und sich bemühte, möglichst leise zu atmen, stürzten sich plötzlich mehrere Männer auf ihn und nahmen ihn fest. Sie führten ihn zwischen schlafenden Menschen und Kamelen ins Innere eines Zeltes.

Das Zelt war das Zelt des Führers einer Karawane, die von Indien nach Bagdad unterwegs war und in dieser Nacht hier ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Alle, die mit der Karawane gingen, ruhten sich gerade vom Tagesmarsch aus. Die Wächter der Karawane hielten Sassan für einen Dieb, der sich in die Lagerstätte einschleichen wollte, um etwas zu stehlen. Sie führten ihn dem Anführer der Karawane vor, damit dieser das Todesurteil aussprechen könne.

Als Sassan merkte, dass sein Leben in Gefahr war, blieb ihm nichts anderes übrig als alles zu schildern, was ihm an diesem Tag geschehen war, um zu beweisen, dass er kein Dieb war. Er erzählte die Geschichte vom Brautkleid, von der Kuh, dem Kalb, der Ziege, dem Kampfhahn, der bunten Mütze und dem Bach, und erklärte ihm, wieso er in der Dunkelheit der Nacht auf so einem Schleichweg nach Hause gehen wollte.

Nachdem der Karawanenführer Sassans Worten gelauscht hatte, sagte er:

"Vor den Leuten schämst du dich für deine dummen Taten, und vor deiner Frau?"

Sassan antwortete: "Meine Frau ist lieb und geduldig. Sie erträgt all mein Unglück und meine Unzulänglichkeiten mit Gelassenheit. Deshalb schäme ich mich nicht vor ihr."

Der Karawanenführer entgegnete: "Das glaube ich nicht. Zumindest diesmal wird sie dich nicht mit lächelndem Gesicht empfangen. Denn immerhin hast du ihr Brautkleid verkauft und selbst deine Mütze ins Wasser fallen lassen. Dass sie diesmal ruhig bleibt und dir keine Vorwürfe macht, ist schlicht unmöglich."

Aber Sassan hatte festes Vertrauen in Schirin, und so widersprach er dem Karawanenführer, bis dieser schließlich eine Wette mit ihm einging.

Er schlug vor: "Wenn du deiner Frau so sehr vertraust, kannst du zusammen mit meinen Wächtern heimgehen. Wenn deine Frau dir dann Vorwürfe macht, werde ich den Befehl zu deiner Hinrichtung erteilen. Wenn sie es aber nicht tut, schenke ich dir 33 Säcke Gold. Damit hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt."

Sassan schlug ein, und es wurde abgemacht, dass die Wächter aufs Dach seines Hauses steigen und durch ein Loch gucken sollten, um zu sehen, wie Schirin reagierte. Sassan seinerseits sollte heimgehen und seiner Frau alles erzählen, was ihm diesen Tag passiert war, außer der Verhaftung durch die Wächter der Karawane.

So geschah es auch. Sassan pochte vorsichtig an der Haustür. Schirin öffnete. Sie war etwas verwundert, weil Sassan so betrübt dreinschaute. Sie forderte ihn auf, einzutreten und zu erzählen, was ihm passiert war und wieso er so spät heimkam.

Sassan begann alles zu erzählen, angefangen von der Kuh bis an die Stelle, wo ihm die Mütze ins Wasser gefallen war. Zum Schluss sagte er, dass er sich geschämt habe, vor den Augen der Dorfbevölkerung mit leeren Händen heimzukehren und deshalb abgewartet habe, bis es Nacht geworden war.

Schirin dachte ein Weilchen nach, und die Wächter, die vom Dach hineinspähten, dachten schon, dass sie gleich wütend würde und Sassan ihre Meinung sagen würde. Aber sie meinte nur: "Jedenfalls bist du sehr müde geworden. Ruhe dich aus! Morgen, wenn die Sonne aufgeht, denken wir gemeinsam darüber nach, wie es weiter gehen soll."

Schirin stand auf, machte das Bett und legte sich mit Sassan schlafen. Sassan war so erschöpft, dass er gleich einschlief.

Als Schirin und Sassan beim Sonnenaufgang auf den Hof traten, sahen sie in der Mitte 33 Säcke, die aufeinander gestapelt waren. Man hörte noch die Glöckchen der Kamelkarawane, die sich vom Dorf entfernte.

Mit dem Verkauf des Goldes blühte das Dorf auf und Sassan und Schirin führten ein Leben ohne Sorge und Not.

Ali Schirasi 29.3.01

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sw, 23.4.01