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Steinregen

Ein kurzer Blick auf die Entstehung und Ausbreitung des Islams und der islamischen Sekten

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Ich lebte schon einige Jahre im Exil, als ich meine Erinnerungen aus dem Ewingefängnis dem Verlag Stephanus Edition vorlegte. Die Veröffentlichung dieses ersten Buches führte dazu, daß ich mit den Verantwortlichen und Mitarbeitern des Verlagshauses näher bekannt wurde. Meine weiteren Bücher, die der Verlag ebenfalls herausgab, und die Freundschaft, die mich im Laufe der Zeit mit den Verantwortlichen verband, ließen uns auch auf andere Themen zu sprechen kommen. So erinnere ich mich gerne an die Unterhaltungen über den Islam und das Gedankengut der Sufis, der islamischen Mystiker, die ich mit Herrn Martin Braun führte. Bei so einer Gelegenheit schlug Herr Braun mir vor, doch für den Verlag eine kurze Abhandlung über den Islam und seine verschiedenen Richtungen zu verfassen.

Zwar bin ich in einer muslimischen Familie zur Welt gekommen und wurde schon früh mit dem Koran und der islamischen Lehre vertraut gemacht, weil meine Großmutter den Koran so gut lesen und deuten konnte, daß sie von allen Menschen im Umkreis in religiösen Fragen herangezogen wurde. Ich habe Dutzende Bücher über den Islam auf Persisch bzw. in persischer Übersetzung gelesen, aber dieser Auftrag hatte doch zwei Besonderheiten: Erstens sollte der Aufsatz einen kurzen Überblick über den Islam geben, zweitens sollte er allgemein verständlich geschrieben sein. Für den vorliegenden Aufsatz habe ich viele Bücher zu Rate gezogen, die ich früher schon gelesen hatte, und mir dort, wo es nützlich erschien, neue Literatur besorgt. Aus diesen Quellen habe ich mir rund 400 Seiten Notizen gemacht - die Zusammenfassung davon halten Sie jetzt in den Händen.

Ich bin sicher, daß Ihnen dieses Büchlein hilft, einen relativ genauen Einblick in die Geschichte der Entstehung und Verbreitung des Islam bis in die heutigen Tage zu erhalten.

Ali Schirasi

Mekka, Zentrum der Götzenverehrung

500 Jahre nach Christus hatte sich Mekka den Ruf des wichtigsten Handelszentrums im damaligen Arabien erworben. Zugleich war es ein Wallfahrtsort aller Araber, sein Boden galt als geheiligt.

Aufgrund der Tatsache, daß diese Handels- und Wallfahrtsstadt heilig war und Sicherheit bot und an den Handelswegen zu reichen und zivilisierten Ländern in Nordarabien, nach Jemen und zu den Ländern an der afrikanischen Ostküste lag, besaß sie für das damalige Arabien lebenswichtige Bedeutung. Selbst bei der Lektüre des Korans bekommt man schon einen Eindruck von der Bedeutung Mekkas in jener Zeit. 500 Jahre nach Christus galt das Gebiet um Mekka bei vielen arabischen Stämmen als "haram", als ein Ort, an dem Krieg verboten war.

Mekka als wichtiges Wirtschaftszentrum benötigte entsprechende Sicherheit und Ruhe, damit der Handel und die Geschäfte nicht beeinträchtigt wurden und die Händler beruhigt ihren Geschäften nachgehen konnten.

Gerade weil sie Handelsmetropole und Wallfahrtsort zugleich war, war Mekka allen arabischen Stämmen heilig und jeder hielt sich an das Verbot, dort Krieg zu führen. Dieses Verbot wog so schwer, daß selbst Mohammad, der Mekka einnehmen wollte, diesen Grundsatz akzeptierte, und auch der Koran enthält eine ganze Reihe klarer und eindeutiger Vorschriften, die einen Krieg in Mekka verbieten.

500 Jahre nach Christus bestand die Bevölkerung Mekkas vorwiegend aus Angehörigen vom Stamme der Qoreisch, von dem ich hier nur die bekanntesten Sippen jener Zeit aufzählen will: die Bani Haschem, die Bani Omajje, die Bani Sahre, die Bani Machsun, die Bani Assad und die Bani Nufel. Diese Sippen lebten im Zentrum der Stadt, im Umkreis der Kaaba und der Samsam-Quelle. Aus der Samsam-Quelle sprudelte das beste Wasser der Stadt, die Kaaba diente der Götzenverehrung (also vorislamischen Kulten) und als Gebetsstätte. Damals waren die Qoreisch in zwei Gruppen aufgeteilt: die Batha-Qoreisch und die Sawahir-Qoreisch. Die Batha-Qoreisch waren reich und wohnten in der Stadtmitte, während die Sawahir-Qoreisch kriegerisch waren und in den ärmeren Außenvierteln von Mekka wohnten.

Die reichen Qoreisch heuerten die Bewohner der Außensiedlungen Mekkas sowohl für Arbeiten in Mekka, für Handelsreisen und für Kriege mit anderen Stämmen an und setzten sie als Söldner und als Bewacher der Handelskarawanen ein.

Wenn wir in der Geschichte der islamischen Bewegungen blättern, bemerken wir, daß die Anhänger einer islamischen Regierung stets die Bevölkerung in den Vororten der Städte organisierten, um ans Ziel zu gelangen.

500 Jahre nach Christus trafen täglich Handelskarawanen in Mekka ein oder zogen von dort weiter. Damals waren neben reichen Männern auch reiche Frauen als Unternehmerinnen im Handel tätig. Sie investierten meist in Handelskarawanen, die im Auftrag der Reichen Mekkas nach Osten und Westen zogen und manchmal bis zu 2500 Lastkamele und 300 Karawanenführer umfaßten.

Die Karawanen aus Mekka beförderten Häute und Leder, Gewürze, Parfüme, Silber und Gold. Diese Waren stammten meist aus dem Handel mit Jemen, Äthiopien und Indien und wurden weiter nach Syrien, Palästina und Ägypten transportiert. Im Gegenzug kehrten Kleider aus Baumwolle und Seide, Waffen, Getreide und Schmuckstücke nach Mekka zurück.

In jenen Tagen waren die meisten Einwohner Mekkas im Handel beschäftigt, und wer es nicht war, genoß in seinem Stamm und seiner Familie kein hohes Ansehen.

Die Kaaba im Zentrum von Mekka war schon lange vor dem Auftreten des Islam ein Kultort, an dem verschiedene Gottheiten verehrt wurden. Jeder Stamm hatte dort seine eigene Gottheit. Über 360 Bilder und Figuren von Gottheiten waren hier versammelt, nicht nur die vom Stamme Qoreisch, auch die anderer Stämme. Und selbst einige Christen, die in Mekka wohnten, hatten auf die Säulen der Kaaba das Bildnis von Maria und Jesus gemalt und gingen dorthin, um zu Maria und Christus zu beten.

In jener Zeit, als die Araber viele Götter kannten und anbeteten, hatte jede dieser Gottheiten eine eigene Aufgabe.

Die Gottheit "Allah" beispielsweise hatte folgende Funktionen:

Er war der Schöpfer von Himmel und Erde.

Er schickte den Regen.

Er war mächtiger als andere Gottheiten.

Für die Araber hatte das Idol "Allah" menschenähnliche Gestalt. Sie knieten vor seinem Abbild nieder, stimmten Wehklagen an, machten Gelübde und brachten Opfer dar. Die Araber verehrten außerdem auch die Gottheiten Lat, Manat und Asi, die sie als Allahs Töchter ansahen. Schon vor dem Islam gab es bei den Arabern die Tradition der Pilgerfahrt nach Mekka, und sie umkreisten nach rituellen Vorschriften die Kaaba, das Haus der Götter. Damals glaubten die Araber nicht an ein Leben der Seele nach dem Tod und auch nicht an ein Jenseits. Nach ihrer Vorstellung endete das Leben mit dem Tod.

Steinregen

570 Jahre nach Christi Geburt machte sich ein Feldherr namens Abrehe aus Jemen mit einer riesigen Armee auf den Weg nach Mekka, um die Stadt zu erobern und die Kaaba dem Erdboden gleichzumachen. Er brach mit einem Heer von Kriegselefanten auf, einer damals besonders gefürchteten Waffe. Gegen die vorrückende Armee Abrehes brach auf einmal ein Sand- und Kiessturm aus, der ihm so schwere Verluste zufügte, daß er Mekka nicht erorbern konnte. Genau in diesem Jahr kam Mohammad in der Stadt Mekka zur Welt. Aber folgen wir besser der Schilderung des Korans, der dieses Jahr "das Jahr des Elefanten" nennt:

Im Jahr des Elefanten stellte Abrehe ein riesiges Heer mit Kriegselefanten auf, um die Kaaba zu zerstören. Aber bevor er Mekka erreichte, erteilte der alleinige Gott den Vögeln den Auftrag, Abrehes Heer zu vernichten. So bedeckten ganze Schwärme von Vögeln auf Gottes Geheiß den Himmel über Abrehes Heerscharen, und jeder ließ aus seinem Schnabel ein Steinchen fallen. Und jedes dieser Steinchen traf einen Elefantenführer auf dem Scheitel, durchbohrte ihn und den Elefanten und kam auf der anderen Seite wieder raus. Tödlich getroffen wälzten sich der Elefant und sein Führer auf dem Boden und gaben den Geist auf. So geschah es, daß niemand aus Abrehes Heer lebend davonkam. Gott hatte die Vögel deshalb mit der Vernichtung von Abrehes Heer betraut, weil Mekka, der Geburtsort Mohammads, vor der Heimsuchung der Ungläubigen bewahrt werden sollte.

Mohammads Kindheit und Jugendzeit

Im Jahre 570 nach Christi Geburt brachte Amane Binti Wahab in Mekka ein Kind zur Welt, das den Namen Mohammad erhielt. Das Baby wurde nach dem Tod seines Vaters, Abdullah Bnu Abdu-l-Mutallib geboren; als das Kind fünf Jahre alt war, verlor es auch seine Mutter. Das Waisenkind Mohammad wuchs darauf unter der Obhut von Abu Talib, eines der Brüder seines Vaters, auf. Dieser Onkel war arm, aber ein herzlicher und mutiger Mensch.

Mohammad Bnu Dscharir Tabari, einer der Koran-Interpreten, schreibt:

"In jenen Tagen, als Amane Mohammad in sich trug, waren noch vierzig weitere Frauen in Mekka schwanger, und jede von ihnen, die einen Sohn gebar, nannte ihn Mohammad. Denn in der Stadt ging damals das Gerücht, daß in Mekka demnächst jemand mit dem Namen Mohammad erscheinen und später ein Prophet Gottes sein werde."

Ein Islamwissenschaftler namens Waqedi behauptet bezüglich Mohammads Kindheit:

"Kaum war Mohammad von seiner Mutter entbunden, sprach er die Worte: Allahu Akbar (Gott ist der Größte). Im ersten Monat begann er zu krabbeln, im zweiten Monat konnte er stehen, im dritten Monat machte er die ersten Schritte, im vierten Monat konnte er schon richtig laufen,... und im neunten Monat war er der beste Schütze."

Solche Legenden über Mohammads Kindheit sind unter den schlichten Moslems sehr verbreitet, besonders die Schiiten haben über Mohammad und die Imame Tausende von wundersamen Geschichten gesammelt und Bücher vollgeschrieben.

Aus Geschichtsbüchern geht dagegen hervor, daß Mohammad als Waisenkind bis im Alter von zehn Jahren eine sehr schwere Zeit durchmachte und daß er als Hirte für seine Nachbarn und seinen Onkel die Kamele auf die Weide führen mußte. Fast alle Historiker sind der Ansicht, daß Mohammad außergewöhnlich intelligent war.

Mohammad weidete in seiner Kindheit in der gras- und wasserlosen Wüste um Mekka Kamele, Tag für Tag der heißen Wüstensonne ausgesetzt, durstig und allein mit seinem Leid. Wenn es dunkel wurde, schleppte er sich bis zur Kaaba und bat das Abbild von Allah und andere Gottheiten um Glück und Segen. Er bat sie, ihm einen Weg zur Rettung zu zeigen, aber es brachte nichts, kein einziges Mal. In einigen Schriften heißt es, daß Mohammad in dieser Zeit, als sieben- oder achtjähriger Junge, nicht mehr an die Götzen glaubte und sich da und dort über deren Anbeter lustig machte.

Im Alter von zwölf begleitete Mohammad seinen Onkel, der verschiedene Städte aufsuchte, um Handel zu betreiben. So lernte er die verschiedenen arabischen Stämme kennen.

Im Alter von zwanzig hatte Mohammad wegen seiner zahlreichen Reisen in viele Länder einen tiefen Einblick in die religiösen Denkweisen und gesellschaftlichen Vorstellungen seiner Zeit gewonnen. Im selben Jahr nahm er auch am Fadschar-Krieg teil, in dem er viel über die Technik der Kriegsführung lernte. (Im Fadschar-Krieg, der etwa 590 n.Chr. in der von Mekka weit entfernten Region Fadschar stattfand, bekämpften sich zwei arabische Stämme.)

Mohammads Intelligenz und Auffassungsgabe in Handels- und Wirtschaftsfragen sowie seine Tapferkeit im Fadschar-Krieg ließen Chadidsche, eine Witwe aus dem Stamm der Qoreisch, auf Mohammad aufmerksam werden. Sie machte ihn zum Verwalter ihrer Finanzen und Handelsgeschäfte. Vier Jahre später heiratete die vierzigjährige Chadidsche, eine reiche mekkanische Geschäftsfrau, den 24-jährigen Mohammad.

Über Mohammads Aussehen ist uns folgendes überliefert:

Er hatte eine hohe Stirn, kräftige Arme und Beine, breite Schultern und mittlere Größe. Seine Augen waren schwarz, aber sein Gesicht hell bis rötlich. Er hatte buschige Augenbrauen, langes Haupthaar, das ihm bis über die Schultern floß. Er trug einen langen, dichten Vollbart. Seine Kleidung bestand aus zwei Stücken: Eins, das er sich umband, und eins, das er sich über die Schultern warf. Manchmal trug er noch ein Hemd, manchmal einen Turban. Beim Gehen schaute er meist auf den Boden. Er war weder geschwätzig noch wortkarg. Sein Lachen glich mehr einem Lächeln, niemals lachte er aus vollem Hals. Auf Waschen, Sauberkeit und Wohlgeruch legte er großen Wert. Bevor man ihn zu Gesicht bekam, schlug einem meistens schon der Duft seiner Parfüme entgegen. Sein Essen nahm er auf dem Boden sitzend ein. Er setzte sich auch zu den Armen hin und aß gemeinsam mit ihnen. Er führte einen schlichten Lebensstil.

Die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen für die Entstehung des Islam

600 Jahre nach Christi Geburt stellt sich die Gesellschaft Arabiens als Sippenverband dar, in dem Sklaverei, Handel, Geld- und Warengeschäfte das wirtschaftliche Leben kennzeichnen.

Privatbesitz, Großadel, Ausweitung des Handels, Ausbreitung des Grundbesitzes, Einführung von Miet- und Pachtverhältnissen bis hin zur "Miete" von Menschen - dies alles machte tiefgreifende politische und soziale Umwandlungen in der arabischen Gesellschaft erforderlich.

Ende des 6. Jahrhunderts wurde Jemen von den persischen Sassaniden-Königen erobert. In der Folge verloren die Karawanenwege des Jemen und des Hedschas, die Ostrom (Byzanz), Syrien, Palästina, Ägypten, Äthiopien und Indien miteinander verbanden, an Bedeutung. Innere Kämpfe unter den arabischen Stämmen trugen das Ihrige dazu bei, die soziale, insbesondere die wirtschaftliche Lage noch zu verschlimmern. Beides, die Eroberung Jemens wie die inneren Kriege, stürzten die arabische Gesellschaft in eine tiefe Krise.

Die gemeinsamen wirtschaftlichen Grundlagen der arabischen Oberschicht, das Interesse der arabischen Handwerker und Händler an sicheren Wegen und stabilen Handelsbeziehungen im Land sind verantwortlich dafür, daß die Idee einer politischen und religiösen Konzentration und Vereinigung unter den arabischen Intellektuellen lebhaften Anklang fand.

Der erste Schritt zur politisch-religiösen Einigung bestand darin, die je nach Sippe unterschiedlichen Gottheiten aufzugeben und zum Glauben an einen einzigen Gott überzugehen.

Noch bevor Mohammad seine Mission als Prophet antrat, hatten Propheten in den verschiedensten Gebieten Arabiens und sogar in Mekka selbst gegen das Götzentum gepredigt und die Menschen aufgefordert, nur noch einen Gott anzubeten. Aber sie kamen damit nicht bei allen arabischen Stämmen an.

Im Koran sind die Namen einiger solcher Propheten erwähnt, wie etwa Hud aus dem Stamme der Aad, Salih aus dem Stamme der Thamud, oder Schaib. (Koran, Sure Araf (Die Höhen), Vers 65-93)

Die Historiker berichten von einem Mann namens Bani Thaqif, der die Städte Damaskus, Medina und Mekka bereiste und mit jüdischen und christlichen Geistlichen diskutierte und auch unter den Arabern den Monotheismus (Glauben an einen Gott) verbreitete.

Zu jener Zeit lebten in Mekka auch Juden, von denen die Araber die Traditionen der Pilgerfahrt, der Heirat und der Scheidung und andere mehr kennenlernten.

Vor dem Islam war auch das Christentum unter den Arabern verbreitet, und namentlich die Annahme des christlichen Glaubens durch die Ghasani-Sippe übte einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Veränderungen in der arabischen Geisteswelt aus.

Aufgrund der Handelsbeziehungen zum Jemen, wo sich auch iranische Händler niedergelassen hatten, mit denen die Araber Geschäftsbeziehungen unterhielten, waren den Arabern auch zarathustrische Traditionen nicht fremd. Liest man den Koran gründlicher, entdeckt man darin deutliche Spuren christlicher, jüdischer und zarathustrischer Traditionen, Feste und Glaubenssätze.

In diesem Umfeld ist Mohammad zu sehen, der in der Bevölkerung Mekkas einen Ruf als zuverlässiger, frommer und liebenswürdiger Mensch genoß, weshalb man ihm auch den Beinamen Mohammad Amin - der ehrliche, vertrauenswürdige Mohammad - gab. Aus den historischen Quellen geht hervor, daß Mohammad mit Denkern der verschiedenen Konfessionen - Christen, Juden und Zarathustriern - in Kontakt stand, so mit Waraqa bnu Nufail, einem Cousin von Chadidsche.

Waraqa bekannte sich zum christlichen Glauben und hatte sich in die Berge in der Umgebung von Mekka zurückgezogen. Den Kontakt zum Stamm der Qoreisch hatte er völlig abgebrochen, auch von den Götzen der Kaaba wollte er nichts wissen.

Waraqa war auch mit den anderen Religionen vertraut und hatte viele geschichtliche und religiöse Werke in die arabische Sprache übersetzt, am bekanntesten davon die Übersetzung des Evangeliums.

Vom Hera-Berg bis zur Flucht aus Mekka

Der Hera-Berg liegt drei Kilometer nordöstlich von Mekka. In den weiter oben gelegenen Hängen des unwegsamen, felsigen, trockenen Berges sind einige Höhlen zu finden, die den gottesfürchtigen Denkern jener Zeit als Zufluchtsort dienten. Nach seiner Heirat mit Chadidsche suchte Mohammad gelegentlich den Hera-Berg auf, um mit den dortigen Höhlenbewohnern zu diskutieren. Allmählich wuchs in Mohammad ebenfalls der Wunsch, sich fern der Hektik des Alltags dem Nachdenken und Meditieren zu widmen. So kam es, daß auch er sich bisweilen in die Höhlen des Hera-Berges zurückzog. Er nahm sich dann Verpflegung mit und blieb solange, bis der Vorrat ausgegangen war.

In den Geschichtsbüchern heißt es, daß Mohammad im Jahre 610 nach Christus in einer Herbstnacht ganz bleich und zitternd vom Hera-Berg zurückkehrte und laut schrie, kaum daß er die Türschwelle erreichte: "Deckt mich zu, deckt mich zu!"

Chadidsche führte ihn ins Haus und deckte ihn zu, damit er wieder zu sich komme. Als Mohammad wieder bei Sinnen war, sagte er zu Chadidsche: "In der Höhle ist mir ein Lichtengel erschienen, der zu mir sagte: Lies, lies! Ich antwortete: Ich kann nicht lesen. Darauf packte mich der Engel fest und sagte wieder: Im Namen Gottes, lies, lies! Und ich antwortete: Ich kann nicht lesen.

Dies wiederholte sich mehrere Male, wobei mich der Engel jedes Mal schüttelte und preßte, bis ich ohnmächtig wurde. Da ließ er schließlich von mir ab und ging."

In den Büchern steht, daß Chadidsche nach diesem Vorfall Waraqa bnu Nufail im Hera-Berg aufsuchte und ihm schilderte, was sie gehört und gesehen hatte.

Waraqa, der Mohammad stets ermutigt hatte zu meditieren, sagte zu Chadidsche: "Wahrscheinlich war das ein Fingerzeig Gottes, daß er Mohammad auserwählt hat, um sein Volk auf den rechten Weg zu führen."

Die Geschichtsschreiber bemerken hierzu, daß Mohammad nach dem Ereignis weiterhin zum Hera-Berg ging, daß der Lichtengel ihm nun regelmäßig erschien und ihm die Botschaft des einzigen Gottes übermittelte. Immer dann, wenn Mohammad Gottes Eingebungen empfing, wurde er in einen trance-ähnlichen Zustand versetzt. Dann ergriff ihn eine heftige Aufregung, seine Augen traten hervor, sein Mund begann zu schäumen, und auf seine Stirn trat der Schweiß. Jedes Mal, wenn der Engel zu ihm herabstieg, forderte er ihn auf, sein Volk auf den rechten Weg zur Verehrung Gottes zu führen.

So kam es, daß Mohammad - anfänglich erst innerhalb der eigenen Familie - begann, die Menschen zum Glauben an Gott aufzufordern. Er erklärte, daß Gott ihm befohlen habe, sein eigenes Volk zu führen. Die ersten, die seinem Aufruf folgten, waren seine Frau Chadidsche und sein Cousin Ali. Allmählich weitete Mohammad seinen Wirkungskreis auch auf Personen außerhalb der Familie aus, vorerst im Geheimen.

Die Geschichtsschreiber berichten, daß Mohammad das ihm eingegebene Wort Gottes in feuriger, gebieterischer und zugleich poetischer Sprache wiedergab, so daß sich die Zuhörer ihrer Wirkung nicht entziehen konnten.

Aber als Mohammad begann, öffentlich zu predigen, und die Menschen in Mekka aufforderte, Gutes zu tun und sich vom Bösen fernzuhalten, als er im Namen des einzigen Gottes das diesseitige Leben als kurz und bedeutungslos bezeichnete, während das Leben im Jenseits viel wichtiger und ewig sei, als er begann, in mitreißenden Worten vom einzigen Gott zu sprechen, der denjenigen, die hier Armut und Entbehrung litten, nach dem Tod das Paradies verheiße, während er den Götzenanbetern und den Reichen die Hölle in Aussicht stellte, hatte er schnell die Anhänger der Götzenkulte wie auch den Adel gegen sich. Die Adligen, die meist im Handel tätig waren und mit beiden Beinen im Diesseits standen, bedachten Mohammads Reden vom einzigen Gott, vom Paradies und der Hölle mit Spott.

Zwölf Jahre lang predigte Mohammad den Menschen in Mekka unentwegt vom Islam, aber nur wenige nahmen den neuen Glauben an. Sowohl Mohammad wie seine Anhänger sahen sich die ganze Zeit massivem wirtschaftlichem und sozialem Druck ausgesetzt. Unterdessen hatte Mohammad aber auch jenseits der Stadtgrenzen, in Medina wie auch in Äthiopien, Anhänger gefunden, und in Medina war eine große Sippe zum Islam übergetreten.

Bei den Geschichtsschreibern heißt es, daß Mohammad die Menschen vor der Vielgötterei warnte und zum Glauben an den einzigen Gott aufforderte. Er entwarf das Modell einer Gesellschaft, in der die Angehörigen aller Schichten und Sippen gleichberechtigt wären. Stets sprach Mohammad von einem Gott, vor dem Arm und Reich, Sklavenhalter und Sklave, Grundbesitzer und Bauer gleich seien.

In einer Zeit, in der viele arabische Stämme unter der Herrschaft der Qoreisch standen, in einer Zeit wirtschaftlicher und sozialer Krisen fand Mohammads Predigt von dem einen Gott, sein Aufruf zur Einheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in vielen Stämmen, bei der normalen Bevölkerung wie auch bei den Armen in Mekka und anderen Städten großen Anklang. Bei den Oberen der Qoreisch löste dieses Echo massive Besorgnis aus, und so gaben sie den Befehl, Mohammad umzubringen und seine Anhänger zu schikanieren und zu verfolgen.

Aber in der Nacht, in der sie die Killer aussandten, war Mohammad nicht zu Hause. Er hatte in den Bergen in Mekkas Umgebung Zuflucht gefunden.

In so einer Atmosphäre konnte Mohammad nicht mehr in Mekka bleiben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als heimlich nach Medina zu flüchten.

Der Islam schlägt in Medina Wurzeln

Die Stadt Medina, damals ein wichtiges Handelszentrum, liegt nördlich von Mekka im heutigen Saudi-Arabien. Medina ist ein bedeutender Wallfahrtsort für die muslimischen Pilgerreisenden.

Nachdem Mohammad dem von den Qoreisch in Auftrag gegebenen Mordanschlag entkommen war und in Medina Zuflucht gefunden hatte, machte er die Stadt zu einem Zentrum seiner Missionierung und Propaganda. Medina war damals eine Siedlung aus unscheinbaren Häuschen, ohne Umzäunung und ohne Stadtmauern.

Das größte natürliche Hindernis für die Eroberung der Stadt waren ihre Dattelplantagen.

Die Juden lebten schon vor dem sechsten Jahrhundert in dieser Handelsstadt und hatten zum Schutz vor Angreifern mehrere Festungen gebaut, so die Chaibar-Burg, die Tima'- und die Fadak-Burg. In Zeiten der Gefahr zogen sie sich in ihre Burgen zurück.

Die Einwohner von Medina, egal welcher Glaubenszugehörigkeit, waren einerseits dem Druck und der Herrschaft der mächtigen Qoreisch in Mekka ausgesetzt, andererseits kam es unter ihnen selbst immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Sippen.

Während des zwölfjährigen missionarischen Wirkens des Propheten Mohammad in Mekka vor seiner Flucht war es ihm gelungen, eine Reihe von Einzelpersonen und und eine Sippe aus Medina für den Islam zu gewinnen. Diese rief er zusammen, als er nach Medina kam, und sprach zu ihnen im Namen Gottes: "Gott hat die Moslems beauftragt, eine Modellgesellschaft zu gründen, die frei ist von Götzendienerei und Ignoranz, frei vom verdorbenen Lebensstil der in Mekka herrschenden Qoreisch."

Zu jenem Zeitpunkt existierten in Medina zwei Gruppen von Moslems: Die Gruppe der Ansar, der Helfer Gottes, die schon früher in Medina gelebt hatten und den Islam angenommen hatten, als Mohammad noch in Mekka predigte, sowie die Gruppe der Auswanderer, die wegen der Unterdrückung der Moslems durch die Qoreisch aus Mekka nach Medina fliehen mußten. Mohammad gelang es, diese beiden Gruppen zu verbünden und freundschaftliche Beziehungen herzustellen und zu einer neuen Gesellschaft zusammenzuschweißen, in der Freundschaft und Verbundenheit auf der Basis des islamischen Glaubens gediehen. Familien- und Sippenbeziehungen spielten hier nur noch eine untergordnete Rolle.

Das Gefühl der Einheit, das der gemeinsame islamische Glaube den Arabern Medinas vermittelte, schuf die Voraussetzungen dafür, daß sie schließlich bereit waren, für die Ausbreitung des Islams gegen die Machthaber der Qoreisch in Mekka zu kämpfen. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, den Kampf zum Wohle des Islams in die eigene Familie zu tragen.

Da in Medina die jüdischen Sippen sehr einflußreich waren, bestand Mohammads nächster Schritt darin, mit den Juden Gespräche aufzunehmen, an deren Ende der Abschluß eines Freundschaftsvertrags zwischen den Juden und Arabern Medinas stand.

Im Jahre 622, im Alter von 53 Jahren, oder anders ausgedrückt, dreizehn Jahre nach der Aufnahme seiner missionarischen Tätigkeit, war Mohammad zum absoluten Herrscher über Medina geworden. Die Moslems Medinas waren sein Volk, bereit, Mohammads Befehle auszuführen und den Islam zu propagieren.

Einige Monate nach Mohammads Eintreffen in Medina gelang es ihm, mit den vereinten Kräften der Ansar wie auch der mit ihm aus Mekka geflüchteten Moslems, den Karawanen der Qoreisch den Weg von Mekka nach Damaskus abzuschneiden. Der Krieg begann.

Die ständigen Angriffe der Moslems aus Medina unter Mohammads Führung auf die Karawanen erregten den Unwillen der Qoreisch, so daß sie den Karawanen Truppen als Geleitschutz mitgaben. In der Gegend von Badr kam es zu einem Kampf zwischen den Moslems und diesen Truppen, in dem die Moslems siegten. Der Kampf ist unter den Moslems als "Schlacht von Badr" bekannt. Daraufhin griffen die Führer der Qoreisch die islamischen Kämpfer in der Gegend von Ohod mit einer größeren Streitmacht an, wobei die Moslems eine schwere Niederlage erlitten. Selbst Mohammad trug Verletzungen davon. Aber auch die Kräfte der Qoreisch mußten herbe Einbußen hinnehmen, so daß sie schließlich nicht mehr in der Lage waren, in Medina einzudringen. Sie mußten den Kriegsschauplatz verlassen, ohne Medina zu erobern.

Die Qoreisch und die Moslems hatten in der Schlacht von Ohod so schwere Verluste erlitten, daß sie zwei Jahre brauchten, bis sie ihre Kräfte erneuert hatten. Diesmal kamen die Adligen des Stammes Qoreisch mit ihren Streitkräften, um Medina zu erobern und das Kapitel Mohammad ein für alle Mal abzuschließen. Nun waren die Moslems in der Defensive. Rings um Medina hoben sie einen tiefen Graben aus und füllten ihn mit Wasser. So konnte das Heer der Qoreisch nicht in Medina eindringen und begann, die Stadt zu belagern. Da viele Kämpfer aus der Streitmacht der Qoreisch vor allem in der Hoffnung mitgekommen waren, die Stadt zu plündern und Beute zu machen, hatten nach zweiwöchiger Belagerung viele von ihnen keine Geduld mehr, so daß sich die Reihen der Belagerer stark lichteten. So konnten die Moslems schließlich den Belagerungsring durchbrechen und den Feind niedermetzeln. Dieser Krieg ist als "Grabenkrieg" in die Geschichte der Moslems eingegangen. Die Niederlage der Qoreisch in diesem Krieg läutete den Niedergang der Götzenverehrung und der Macht der Adligen des Qoreisch-Stammes ein.

Da eine der jüdischen Sippen, die Bani Qarise, im Grabenkrieg Zeichen der Schwäche bezeugten und das Gerücht ging, sie hätten sich mehr oder weniger auf die Seite der Qoreisch gestellt, griffen die Moslems, kaum daß sie die Streitkräfte der Qoreisch vernichtet hatten, gleich bei ihrer Rückkehr nach Medina die Juden der Bani Qarise an, ohne auch nur die Kleidung zu wechseln. Die Wut der Moslems ging so weit, daß sie keinen jüdischen Mann am Leben ließen, obwohl sie sich ergaben. Nachdem sie die Männer geköpft hatten, teilten sie deren Frauen und Kinder unter sich auf.

Fünf Jahre nach seiner Auswanderung aus Mekka hatte Mohammad eine stattliche Zahl Krieger um sich gesammelt, die sich zum Islam bekannten und in zahlreichen großen und kleinen Kämpfen Erfahrung gesammelt hatten. Aber nicht nur militärisch, auch in wirtschaftlicher, ideologischer und politischer Hinsicht hatte Mohammad in Medina und Umgebung Wurzeln geschlagen.

Sechs Jahre nach der Auswanderung aus Mekka brach Mohammad mit einer großen Zahl gläubiger Moslems nach Mekka auf, um die Kaaba, für ihn das Haus Gottes, zu besuchen. Aber die Adligen der Qoreisch erlaubten ihm und seinen Leuten nicht, Mekka zu betreten. Stattdessen nahmen sie mit Mohammad Verhandlungen auf, die schließlich in einem zehnjährigen Friedensvertrag zwischen den Moslems und den Herrschern des Stammes Qoreisch mündeten.

Die Nachricht von diesem Friedensvertrag breitete sich rasch im ganzen damaligen Arabien aus. Er verlieh Mohammad und dem islamischen Glauben in den Augen der arabischen Stämme, der Juden und der Christen noch mehr Macht. Von nun an galt Mohammad auch in Mekka, im Iran, in Ägypten, in Äthiopien und in Ostrom als Führer der Moslems und Oberhaupt von Medina.

Nachdem Mohammad - den Friedensvertrag in der Tasche - nach Medina zurückgekehrt war, machte er sich daran, den verbliebenen unbotmäßigen Juden in der Stadt und in der Umgebung zuzusetzen, bis sie kapitulierten. Zugleich begann er, als Prophet des Islams und als Gesandter Gottes aufzutreten und unter diesem Namen Botschaften an die Herrscher des Irans, Ägyptens, Äthiopiens und Ostroms zu senden und sie zur Annahme des Islams aufzufordern.

Eine kurze Reise durch die Suren des Koran

Nach den Worten der Geschichtsschreiber stand zwischen Gott und Mohammad immer der Engel Gabriel, durch dessen Vermittlung Mohammad Gottes Wort empfing. Mohammad sollte dann in Gottes Auftrag dessen Wort bei den Menschen verkünden und die Menschen auf den rechten Weg führen. Die gesammelten Worte Gottes sind im Koran niedergeschrieben, der aus 114 Suren (Kapiteln) besteht. Die längste Sure ist al-Baqara (Die Kuh), die aus 286 Versen besteht, die kürzeste Sure ist an-Nasr (Die Hilfe), die aus drei Versen besteht.

Die Historiker teilen die Koransuren in zwei Gruppen: Die Mekka-Suren und die Medina-Suren. Die ersteren wurden Mohammad eingegeben, als er in Mekka lebte, die letzteren nach seinem Auszug nach Medina.

In den Mekka-Suren fordert Mohammad die Menschen im Namen Gottes zum Glauben an den einen Gott auf, er geißelt Gewalt und Unterdrückung und kritisiert einen übertrieben luxuriösen Lebensstil und die Gleichgültigkeit gegenüber der Not der Armen.

In den Medina-Suren fordert er die Menschen im Namen Gottes auf, gegen Gewalt und Unterdrückung zu kämpfen und sieht nunmehr die Notwendigkeit, den Islam mit dem Schwert zu verbreiten.

In den Mekka-Suren kommt nach der Auffassung der Historiker ein stürmischer, unruhiger Geist zum Vorschein, ihr Rhythmus, ihre Melodie klingen poetisch, während die Medina-Suren scharfe, endgültige Urteile aussprechen und keinerlei Widerspruch, keinerlei Abweichung mehr dulden. Wer die Gebote Gottes nicht befolgt, muß mit den schwersten Strafen rechnen.

Die Historiker haben über die Suren aus Mekka und Medina viel geschrieben und sie verglichen, wir wollen uns nur ein paar davon anschauen.

(Übersetzung aus Rudi Paret, Der Koran, Kohlhammer Verlag)

  1. 1. In der al-Mosammel-Sure (Der sich eingehüllt hat), die in Mekka entstanden ist, heißt es in den Versen 10-12: 10) Ertrage geduldig, was sie (d.h. die Ungläubigen) sagen, und halte dich schön (d.h. ohne grob und verletzend zu werden) vor ihnen zurück! 11) Überlaß das nun mir, was mit denen geschehen soll, die (die göttliche Botschaft) für Lüge erklären und sich des Wohllebens erfreuen, und gewähre ihnen noch eine kurze Frist! 12) Bei uns sind Fesseln und ein Höllenbrand (für sie bereit),
  2. 2. In der Sure al-Baqara (Die Kuh), die in Medina entstanden ist, heißt es im Vers 191: Und tötet sie (d.h. die heidnischen Gegner), wo (immer) ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben. Der Versuch (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen ist schlimmer als Töten.
  3. 3. In der Sure al-An'am (Das Vieh) aus Mekka heißt es in Vers 108: Und schmäht nicht diejenigen, zu denen sie (d.h. die Heiden) beten, statt zu Gott, damit sie in (ihrem) Unverstand nicht ihrerseits in Übertretung (der göttlichen Gebote?) Gott schmähen. So (wie den heidnischen Mekkanern?) haben wir jeder Gemeinschaft ihr Tun im schönsten Licht erscheinen lassen. Hierauf (aber) werden sie (sterben und) zu ihrem Herrn zurückkehren. Und er wird ihnen Kunde geben über das, was sie (in ihrem Erdenleben) getan haben.
  4. 4. In der Mohammad-Sure aus Medina heißt es in Vers 35: Laßt nun (in eurem Kampfwillen) nicht nach und ruft (die Gegner) nicht (vorzeitig) um Frieden, wo ihr doch (letzten Endes) die Oberhand haben werdet! Gott ist mit euch und wird euch nicht um (den Lohn) eure(r) Werke bringen.

Die Historiker sind der Auffassung, daß die Suren, die Mohammad in seiner Anfangszeit in Medina offenbart wurden, sich von den späteren Medina-Suren unterscheiden.

Hierfür das erste Beispiel:

In der al-Baqara-Sure, die Mohammad offenbart wurde, als er noch nicht lange in Medina war, heißt es in Vers 256:

In der Religion gibt es keinen Zwang (d.h. man kann niemand zum (rechten) Glauben zwingen). Der rechte Weg (des Glaubens) ist (durch die Verkündigung des Islam) klar geworden (so daß er sich) vor der Verirrung (des heidnischen Unglaubens deutlich abhebt). Wer nun an die Götzen nicht glaubt, an Gott aber glaubt, der hält sich (damit) an der festesten Handhabe, bei der es kein Reißen gibt. Und Gott hört und weiß (alles).

Ein zweites Beispiel:

In der Sure at-Tauba (Die Buße), die ebenfalls aus Medina stammt, heißt es in Vers 29:

Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten (oder: für verboten erklären), was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören - von denen, die die Schrift erhalten haben - (kämpft gegen sie), bis sie kleinlaut aus der Hand (?) Tribut entrichten!

(AdÜ: gemeint sind Juden und Christen)

Die Koraninterpreten und Historiker meinen, daß die Suren, die Mohammad in Medina empfangen hat, die geistige und ideologische Grundlage für die Ausbreitung des Islam und die Eroberung Mekkas und anderer Länder gelegt haben.

Auf dem Weg zur Macht

Als Mohammad nach Medina kam und die Aqsa-Moschee in Jerusalem als Gebetsrichtung für die Moslems festlegte, zeigten sich die Juden Medinas sehr angetan von dieser Maßnahme und gingen mit ihm ein Bündnis gegen die Adligen und Herrscher Mekkas ein.

Aber sobald die Moslems in Medina mächtig genug waren, um sich sowohl gegen die Juden Medinas als auch gegen die Adligen in Mekka zu wehren, gab Mohammad die Haram-Moschee in Mekka als neue Gebetsrichtung der Moslems bekannt. Mekka war damals noch das Zentrum der Vielgötterei, während Jerusalem das Zentrum zweier monotheistischer Religionen war - des Judentums und des Christentums. Der Wechsel von der Aqsa-Moschee zur Haram-Moschee stieß daher viele Moslems vor den Kopf und löste eine Krise unter ihnen aus. Darauf griff Mohammad ein, indem er erklärte: Die Änderung der Gebetsrichtung habe er auf Gottes Geheiß verkündet. Denn dieser sehe es als Pflicht der Moslems an, daß sie eine eigene Gebetsrichtung hätten. Zu seinen Gegnern gewandt meinte Mohammad:

"Wo immer ihr euch hinwendet, dort ist auch Gott. Also betet in Richtung der Haram-Moschee."

Ein Jahr nach dem Friedensschluß mit den Qoreisch machte sich Mohammad mit 2000 Anhängern auf den Weg nach Mekka. Wegen des Friedensvertrags durften sie die Stadt betreten und das Ritual der Pilgerfahrt (Hadsch) zur Kaaba ausführen. Aber sie durften nur drei Tage in Mekka bleiben.

Im Jahr darauf kam Mohammad jedoch wieder, diesmal mit 10.000 kriegserfahrenen Anhängern, lauter gläubigen Moslems. Zwar versuchten die Adligen Mekkas, Mohammad durch Verhandlungen von dieser "Reise" abzuhalten, aber ohne Erfolg. Mohammad sah seine Stunde gekommen und durchschritt die Tore Mekkas mit seiner Schar ohne Rücksicht auf den zehnjährigen Friedensvertrag. Die Führer der Qoreisch waren zu schwach, um sich ihm noch in einem Krieg entgegenzustellen, so daß er ungehindert in die Stadt eindrang. Unter Mohammads Führung betraten die Moslems die Kaaba, zerschlugen die ganzen Bilder der heidnischen Gottheiten und säuberten das Haus von allen Symbolen der anderen Götter. Dann stiegen sie aufs Dach der Kaaba und verkündeten den Gebetsruf im Namen Gottes und seines Propheten. Nun hatte Mohammad die Stadt, die ihn zwanzig Jahre lang verletzt und gedemütigt hatte, in den Händen. Obwohl er sie ohne Gewalt erobert hatte und die Bevölkerung den islamischen Glauben annahm, kehrte er dennoch nach Medina zurück, von wo aus er seine Gesandten in verschiedene Städte und Länder schickte und sie aufforderte, sich zu ergeben und den Islam anzunehmen. Vereinzelter Widerstand, der überall auf der arabischen Halbinsel aufflackerte, wurde von den Moslems zum Schweigen gebracht. So kamen Einzelne und ganze Sippen nach Medina, um den Islam anzunehmen und ein Bündnis zu schließen. Andere schickten Sendboten, um ihre Unterwerfung mitzuteilen. Schon bald nach der Eroberung Mekkas hatte der Islam seinen Siegeszug durch die arabische Halbinsel abgeschlossen, aus dem Mohammad als unbestrittener Führer der Araber dieser Region hervorging.

Mohammads Botschaft

Mit vierzig begann Mohammad zuerst in der Familie, dann auch außerhalb des Familienkreises öffentlich zu predigen. Er forderte die Menschen auf, die Vielgötterei aufzugeben und den einzigen Gott zu verehren. Tatsächlich galt gerade diese Verehrung und Unterwerfung unter den alleinigen Gott als Grundlage des Islam.

Nach den Versen des Koran ist Gott gerecht und einzig, das heißt, daß es außer ihm keinen zweiten Gott gibt. Er lebt und ist ewig zugleich. Alles, was im Himmel und auf Erden und in der Zeit existiert, hängt von Gott ab. Mohammads Gott hat keinen Sohn, hat keinen Gott neben sich, er hat alles geschaffen und alles im richtigen Maß geschaffen. Mohammads Gott ist ein einziger Gott, alles gehorcht seinem Befehl, alles untersteht seiner Macht.

Laut den Versen des Koran hat Mohammads Gott unter den Arabern einen Gesandten auserwählt und zu den Arabern geschickt, damit er ihnen die Verse Gottes verkünde, ihnen das Buch und die Weisheit Gottes bringe, sie vom Schlechten reinige und auf dem rechten Weg leite.

Mohammad teilt das Leben - nach Gottes Wort - in zwei Abschnitte: das Leben im Diesseits und das Leben im Jenseits. Das Leben im Diesseits ist kurz und vergänglich, das Leben im Jenseits für immer und ewig.

Mohammad spricht im Namen Gottes über das Paradies, über die Hölle und über das Jüngste Gericht. Wer im Diesseits der Sünde und Verderbnis verfällt und sich Gott nicht unterwirft, wird am Tag des Jüngsten Gerichts den Zorn und die Wut Gottes auf sich ziehen und in die Hölle kommen, wo er fürchterliche Qualen erleiden muß. Wer sich aber im Diesseits Gott unterwirft und Moslem wird, dem steht im Jenseits der Weg ins Paradies offen, wo ihn alles Schöne und Gute erwartet.

Mohammads Gott ist ein Gott der Vergebung und der Strenge. Deshalb erlegt er den Moslems religiöse und moralische Pflichten auf, die jeder unbedingt verrichten muß. Einige dieser Pflichten seien hier aufgeführt:

  1. Die Vermögenden sind verpflichtet, Arme und Waisen zu unterstützen.
  2. Die Freilassung von Sklaven zählt zu den guten Taten und gilt für Moslems als moralische Pflicht.
  3. Es gehört zu den religiösen und moralischen Pflichten, seinen Eltern Gutes zu tun.
  4. Ein Mann darf bis zu vier Frauen legal heiraten. Allerdings wird von ihm aus religiösen und moralischen Gründen verlangt, gegenüber den vier Frauen Gerechtigkeit walten zu lassen.
  5. Die Vollstreckung des Qisas-Rechts, der islamischen Strafen, ist religiöse Pflicht. Dazu gehören: Das Abhacken der Hand, die Steinigung, die Blendung durch Ausstechen der Augen.
  6. Die Einhaltung der Bestimmungen des Erbrechts gehört ebenfalls zu den religiösen Pflichten. Danach ist das Erbe einer Tochter halb so groß wie das Erbe eines Sohns.
  7. Die Verrichtung des Pflichtgebets, das Fasten und die Pilgerfahrt gehören ebenfalls zu den religiösen Pflichten.
  8. Wenn eine religiöse Autorität einen Aufruf zum heiligen Krieg erläßt, gehört die Teilnahme zu den religiösen Pflichten.
  9. Vers 32 der Ahsab-Sure (Die Gruppen) macht die Verschleierung zum göttlichen Gebot.

Für die Moslems ist der Koran von Anfang bis Ende eine Quelle religiöser und moralischer Gebote. Es war Mohammads Botschaft, daß der Koran das Wort Gottes ist und daß die vollständige Befolgung des Korans zu den Pflichten eines jeden Moslems gehört.

Mohammads Tod

Nachdem Mohammad Mekka ohne Krieg erobert hatte, kehrte er nach Medina zurück. Auf dem Rückweg machte er an einem Ort namens Ghadir-e Chom Halt. Er befahl, vier Kamele nebeneinander zu stellen und errichtete auf deren Sätteln eine Kanzel. Dann stieg er hinauf, ließ seinen Schwiegersohn Ali holen, der eben erst vom Krieg aus Jemen zurückgekehrt war, und hob ihn zu sich auf die Kanzel. Nach einer kurzen Ansprache sagte er dann: "Wer immer mich als Gottes Vertreter betrachtet, für den ist auch Ali Gottes Vertreter."

Die Historiker sehen hierin den ersten wichtigen Moment, der später zum Ausgangspunkt für den Streit um die Nachfolge Mohammads wurde.

Im Jemen-Krieg war es über die Verteilung der Kriegsbeute zwischen Ali und einigen Kommandanten zum Streit gekommen. Mohammad, der befürchtete, daß solche Konflikte und die aufkommende Unzufriedenheit der islamischen Streitmacht nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen könnte, demonstrierte mit dieser Geste seine Unterstützung für Ali, in der Hoffnung, den Streit im Keim zu ersticken.

Als Mohammad in Medina eintraf, beschloß er, seine Gegner in Damaskus und Umgebung zu unterwerfen, wozu er eine Armee von Moslems mobilisierte. Eine Erkrankung hielt ihn nicht davon ab, dieses Vorhaben weiter zu verfolgen. Nach der Aufstellung einer gewaltigen Streitmacht ernannte er einen jungen Mann namens Assame zum Oberbefehlshaber dieser Armee. Assames Vater war in einem vorausgegangenen Krieg zwischen den Moslems und den Herrschern in Damaskus gefallen, was Assame erst recht anspornte, Damaskus zu besiegen. Mit der Ernennung Assames wies Mohammad die Führer der Ansar, also seiner ersten Anhänger in Medina, sowie der Auswanderer (Mohadscher), die Mohammad vor der Eroberung Mekkas nach Medina gefolgt waren, an, unter dem Kommando des zwanzigjährigen Jünglings in den Krieg zu ziehen. Einigen Führern und einfachen Gläubigen war die Lust zur Teilnahme an diesem Feldzug nach dieser Wahl vergangen war.

Assames Armee verließ Medina und schlug vor der Stadt ein Heerlager auf, um auf Mohammads Befehl zu warten. Aber dessen Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, bis er sich schließlich unter Schmerzen vor die Stadt schleppte, um dem Islamischen Heer den Befehl zum Aufbruch zu erteilen. Er rief zum Krieg gegen die Ungläubigen und seine Gegner in Damaskus auf, die durch den Heerzug unterworfen werden sollten. Mohammads Krankheit, die sich noch verschlimmerte, war der Grund, daß einige Führer der Ansar und der Mohadscher sowie ihre Anhänger, die nicht mit Assames Wahl einverstanden waren, sich weigerten, sich dessen Heer anzuschließen.

Als Mohammad erkrankte, hielt er sich den damaligen Traditionen gemäß der Reihe nach in den Häusern seiner verschiedenen Frauen auf. Mittlerweile hatte es der Prophet auf neun Frauen gebracht, von denen die Jüngste Aische war. Aische war die Tochter von Abu Bakr, einem reichen Freund Mohammads, der nach seinem Übertritt zum Islam Mohammad unter seine Fittiche genommen hatte. Es soll hier nicht verschwiegen werden, daß Aische erst neun Jahre alt war, als sie mit dem 53jährigen Mohammad verheiratet wurde. Daher halten viele Moslems bis heute ein Mädchen ab dem Alter von neun für heiratsfähig.

Als Mohammad so schwer erkrankte, war er 63 Jahre und Aische achtzehn Jahre alt. Sie war zu seiner Lieblingsfrau avanciert, und vielleicht war dies der Grund, daß Mohammad mit der Tradition brach, in ihrem Haushalt blieb und seine anderen Frauen nicht mehr besuchte. Es wird behauptet, daß er diesen Beschluß mit dem Einverständnis der anderen Frauen gefaßt habe.

Mohammad war schließlich so krank, daß er nicht einmal mehr zum Beten in die Moschee gehen konnte. Deshalb beauftragte er Abu Bakr, an seiner Stelle in der Moschee als Vorbeter zu amtieren. Es heißt allgemein, daß Mohammad bis zum Ende seines Lebens nie direkt über die Nachfolgefrage gesprochen habe. Erst an seinem letzten Tag sprach er über seinen Nachfolger, was unter den Anwesenden lebhafte Diskussionen auslöste. Einige erklärten, daß der Prophet im Fieberwahn rede, und hinderten ihn daran, weiter zu sprechen. Dieselben, die ihn daran gehindert hatten, behaupteten später, daß sie das Wort "Tod" nicht aus seinem Munde hören wollten. So starb Mohammad schließlich im Alter von 63 im Jahre 632 nach Christus. Dreierlei hat er hinterlassen: den Koran, die Überlieferung seiner Taten und Aussprüche (Hadis) und eine Tochter namens Fatima.

Mohammads Nachfolge - Beginn der Spaltung

Als die in der Moschee versammelten Gläubigen die Nachricht vom Tode Mohammads vernahmen, wollten sie es nicht wahrhaben und waren ganz aufgeregt und empört. Omar Ibn Chattab, der spätere zweite Kalif der Moslems, meinte auf diese Nachricht hin: "Mohammad ist nicht tot. So wie Moses auf den Berg von Sinai gegangen ist, so ist auch Mohammad vorübergehend verschwunden und wird bald wiederkehren, und dann wir er denen die Füße abhacken, die behaupten, daß er gestorben sei."

Es wird überliefert, daß Abu Bakr, der erste Kalif (Nachfolger Mohammads) der Moslems, folgende Worte äußerte, als er die Moschee betrat, wo alle gespannt auf die letzten Neuigkeiten warteten: "Wer immer Mohammad verehrt, soll wissen, daß er nun tot ist. Wer immer Gott verehrt, soll wissen, daß Mohammad ewig und unsterblich ist."

Als die Menschen endlich die Gewißheit hatten, daß Mohammad wirklich tot war, rückte die Nachfolgefrage in den Vordergrund: Wer war es würdig, die Führerschaft über die Moslems anzutreten? Während einige Freunde und Verwandte in Alis Haus Mohammads Leiche wuschen, stritten sich andere in der Moschee von Medina heftig darum, wer der Nachfolger werden sollte. Schon zu Mohammads Lebzeiten hatten zwischen seinen frühen Anhängern in Medina, den Ansar, und denjenigen, die mit ihm aus Mekka ausgezogen waren, den Mohadscher, Meinungsverschiedenheiten bestanden. Aber diese Konflikte betrafen im wesentlichen die Aufteilung der Kriegsbeute. Nach Mohammads Tod fürchteten nun beide Gruppen, daß die Führung in die Hände der Konkurrenz übergehen könnte. Deshalb schlugen beide aus ihrer Mitte einen Nachfolger vor. Als Mohammad noch lebte, hatte er eine Reihe zuverlässiger Freunde, die unter den Moslems eine führende Stellung hatten, so etwa Abu Bakr, Omar, Ali, Osman, um die berühmtesten zu nennen.

Abu Bakr gehörte zu den ersten, die den Islam angenommen hatten. Er hatte seinen ganzen Reichtum in Mohammads Dienste gestellt und für die Verbreitung des Islam ausgegeben. Seine schöne Tochter Aische hatte er mit Mohammad verheiratet, als diese gerade neun Jahre alt war. Auch Omar, der an allen Kriegen teilgenommen und Mohammad unterstützt hatte und ein bekannter islamischer Heerführer war, hatte seine Tochter mit Mohammad verheiratet.

Ali war bei Mohammad aufgewachsen und hatte dessen Tochter Fatima geheiratet. In zahlreichen Kriegen war er ebenfalls Mohammad zur Seite gestanden. Osman wiederum war mit zwei von Mohammads Töchtern verheiratet und gehörte zu denen, die in einer bestimmten Periode Mohammads Worte aufschrieben, er war sozusagen zeitweilig Mohammads Schreiber.

Mit Mohammads Tod brach zwischen Abu Bakr, Omar, Ali und Osman der Streit um die Nachfolge aus. Der Konflikt an der Spitze übertrug sich nach unten auf die Anhänger der vier. Da eine Ausweitung des Konflikts zu einem Bürgerkrieg und zur Auflösung der islamischen Zentralgewalt führen konnte, einigte sich Omar mit Abu Bakr, daß Abu Bakr der erste Kalif werden sollte.

Zwar hatte es schon gegen Ende von Mohammads Zeit Akte des Ungehorsams und der Rebellion gegeben, aber kaum hatte Abu Bakr die Nachfolge angetreten, nahmen sie solche Ausmaße an, daß der Kalif zur Vernichtung der gegnerischen Kräfte Chalid Ibn Walid, einen der berühmtesten islamischen Heerführer, mit der Niederschlagung des Aufstands betraute. Chalid Ibn Walid war überzeugt, daß der Islam - nach den Worten Mohammads - eine Religion des Schwertes sei und mit dem Schwert durchgesetzt werden müsse.

So zwang Abu Bakr die inneren Gegner zur Kapitulation. Damit das islamische Heer, das dem Islam seine Einheit und innere Stärke verdankte, nicht flügellahm wurde, wählte er unter den Kämpfern seine Freunde und Angehörigen aus und ernannte sie zu Oberbefehlshabern der islamischen Streitmacht. Jeder von ihnen wurde mit gut ausgerüsteten Truppen fortgeschickt, Syrien und den Irak zu erobern. Aber aufgrund seines hohen Alters konnte sich Abu Bakr nur zweieinhalb Jahre auf dem Kalifenthron halten. Dann starb er. Vor seinem Tod hatte er in seinem Vermächtnis Omar zum Nachfolger erkoren, der damit zum zweiten Kalifen der islamischen Welt wurde.

Omar, seines Zeichens ein mächtiger Feldherr, wußte das Schwert noch schärfer zu schwingen als sein Vorgänger, kaum daß er den Kalifenthron bestiegen hatte. Er entriß Syrien und Palästina dem oströmischen Reich und eroberte den Irak. Zu Omars Zeit waren die Herrscher in Ägypten und dem Iran sehr schwach und mit inneren Konflikten beschäftigt. Die Bevölkerung Ägyptens und des Irans litt sehr unter der Tyrannei ihrer Regierungen, so daß in beiden Ländern große Unzufriedenheit herrschte. Das war für Omar eine günstige Gelegenheit, beide Länder anzugreifen, deren Regierungen zu stürzen und sie von islamischen Truppen erobern zu lassen. Die erbeuteten Reichtümer und Kriegsgefangenen wurden nach Medina abgeführt, die als Zentrum der islamischen Regierung zu einer der reichsten und blühendsten Städte wurde.

Während des zehnjährigen Kalifats von Omar konnte die islamische Regierung allmählich politische und administrative Erfahrung in der Verwaltung der ihr unterstehenden Länder sammeln, sowie auf dem Koran und Mohammads Vorschriften gründende Gesetze und Sitten einführen und praktizieren.

Seinen Tod fand Omar aus der Hand eines iranischen Kriegsgefangenen namens Firus - auch als Abu Loulou bekannt, der ihn umbrachte.

Rebellion und Steinwürfe

Als Omar im Sterbebett lag, gab er den Auftrag, daß sechs seiner engsten Freunde einen Rat bilden sollten, um einen aus ihrer Mitte zum neuen Kalifen zu wählen. Auf Beschluß dieses Rats wurde Osman aus dem Stamm der Qoreisch zum Nachfolger gewählt. Mit seiner Wahl lag die Herrschaft über die arabische Gesellschaft wieder in den Händen der Qoreisch. Diesmal nicht mehr mit den auf einer Vielzahl von Göttern beruhenden Glaubensvorstellungen und Traditionen, sondern im Namen und unter dem Banner des Islam. Und im Namen des Islam und des Koran gelang es ihnen, die Alt-Muslime Medinas und die aus Mekka ausgewanderten Mohadscher beiseite zu drängen und die Macht zurückzuerobern.

Die Historiker berichten, daß Abu Bakr, der erste Kalif, ein sehr einfaches und bescheidenes Leben führte und bei seinem Tod auch keine Reichtümer hinterließ. Von Omar wird das gleiche gesagt, nur daß seine Regierung viel strenger war.

Osman dagegen war aufgrund seines hohen Alters nicht mehr in der Lage, selbst zu herrschen, so daß in seiner Zeit die Verwaltung der Amtsgeschäfte in die Hände seiner Freunde und Verwandten überging. Und an die Stelle der bisherigen Bescheidenheit trat nun ein prunkvoller Lebensstil, einhergehend mit der Anhäufung von großem Reichtum bis zu seinem Tod.

Nach den Überlieferungen der Historiker stand in der großen Moschee von Medina eine Kanzel, von der noch Mohammad gepredigt hatte, um die Gläubigen zu unterweisen. Nach Mohammads Tod wollte sich sein Nachfolger nicht mit ihm auf eine Stufe stellen und blieb deshalb stets unterhalb des Absatzes stehen, von dem aus Mohammad seine Reden gehalten hatte.

Omar, der sich weder mit Mohammad noch mit Abu Bakr gleichsetzen wollte, blieb sogar zwei Stufen tiefer stehen, wenn er predigte. Aber Osman stieg nach seiner Wahl zum Kalifen gleich beim ersten Mal bis zu dem Absatz, von dem früher Mohammad gepredigt hatte. Auf die Moslems wirkte sein Verhalten abstoßend.

Osmans Wahl zum Kalifen, das Eindringen der Qoreisch in die Führungsspitze der islamischen Gemeinde und der islamischen Länder, die Aufteilung der Posten allein nach der Nähe zu den Qoreisch und schließlich die Anmaßung Osmans, sich mit Mohammad auf eine Stufe zu stellen, all das führte zu zahlreichen Aufständen und Unruhen in der islamischen Welt und in den Ländern, die von der islamischen Streitmacht erobert worden waren.

Von den Geschichtsschreibern wird auch überliefert, daß Osman bei seinem Amtsantritt den Befehl gab, alle Korane, die bis zu diesem Zeitpunkt von verschiedenen Personen aufgeschrieben worden waren, zu sammeln, so daß niemand mehr ein Exemplar davon besaß. Auf Osmans Geheiß wurde dann aus den gesammelten Koranen ein Koran verfaßt, der als Osmans Koran bekannt ist. Der Koran, der heute unter den Moslems in Gebrauch ist, ist eben der, den Osman erstellen ließ. Es heißt weiter, daß Osman nach der Abfassung seines Korans den Befehl gab, alle gesammelten Korane zu verbrennen.

Nach dem Urteil der Historiker war Osman der erste Führer der islamischen Welt, der aufgrund der Unzufriedenheit in der Bevölkerung von den Gläubigen attackiert wurde. Eines Tages kam es so weit, daß er mit Steinen beworfen wurde, als er zum Predigen in die Moschee ging. Unter dem Schutz seiner Anhänger kehrte er wieder um. Aber auch sein Haus wurde von seinen Gegner umstellt. Drei Wochen lang dauerte diese Belagerung, bis die Aufständischen seine Leibwächter und Wärter besiegten und in Osmans Haus eindrangen. Sie machten ihm den Vorschlag, das Amt des Kalifen niederzulegen und zurückzutreten. Aber trotz seiner 80 Jahre klammerte sich Osman an sein Amt, so daß er schließlich von den Aufständischen ermordet wurde, als er gerade im Koran las.

Nach Mohammads Tod hatten sich zuerst Abu Bakr und dann Omar sehr darum bemüht, die Einheit der Moslems zu bewahren, aber mit der Ermordung Osmans brachen zwischen den arabischen Stämmen, die sich nunmehr alle zum Islam bekannten und den Koran und die Vorschriften des Propheten befolgten, blutige Kriege aus.

Ali - Führer der Schiiten

Zur selben Zeit, in der Osman in seinem eigenen Haus von seinen Gegnern belagert wurde, trat Ali in der Moschee von Medina als Vorbeter und Führer auf. Nach Osmans Tod kam es trotz aller Meinungsverschiedenheiten unter den Moslems über die Nachfolge schließlich zur Einigung, und so wurde Ali zum vierten Kalifen gewählt. Ali war ein Cousin Mohammads und seit seinem sechsten Lebensjahr in Mohammads Haus aufgewachsen. Mit zehn hatte er den islamischen Glauben angenommen, zuvor hatte er keiner Religion angehört. Nach Chadidsche, Mohammads Frau, war Ali der zweite, der den Islam angenommen hatte. Zwar betrachteten einige islamische Oberhäupter und Heerführer und auch ein Teil der Gläubigen Ali schon nach Mohammads Tod als legitimen Nachfolger und akzeptierten Abu Bakr, Omar und Osman nicht als Kalifen, aber Ali zog es vor, sich während des Kalifats der drei zurückzuziehen und nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten.

Als Ali das Kalifenamt akzeptierte, hatten die Adligen aus dem Stamm der Qoreisch sowie die Omajjaden schon alle wichtigen Regierungsposten in den Händen. Gleich in den ersten Monaten seiner Amtszeit bezogen einige islamischen Führer, darunter auch Aische, die jüngste von Mohammads Witwen, gegen Ali Stellung und machten Mekka zu ihrer Hochburg. Die adligen Qoreisch und das Geschlecht der Omajjaden, die ihre erworbenen Privilegien nicht verlieren wollten, schlossen ihre Reihen dichter. In der Folge kam es zwischen Alis Truppen und denen der Gegner zu einer Reihe von Schlachten. In der Schlacht von Dschamal erschien Aische mit anderen Führern an der Spitze der gegnerischen Truppen. Die Schlacht endete mit Aisches Kapitulation. Trotz seines Siegs in Dschamal kehrte Ali danach nicht nach Medina heim, sondern schlug in Kufa sein Hauptquartier auf. Die Bevölkerung von Kufa hatte nämlich ihr Wort gegeben, Ali gemeinsam zu verteidigen. So verlor Medina rasch seine Bedeutung als politisches, administratives, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der islamischen Herrschaft.

In der Schlacht von Safain standen sich die Truppen von Moawije und Ali gegenüber. Als Moawijes Truppen kurz vor einer Niederlage standen, spießten sie im letzten Moment den Koran auf ihre Lanzen. Sie wollten damit zeigen, daß sie Frieden wünschten und ihre Meinungsverschiedenheiten lieber dem Schiedspruch des Koran unterwerfen wollten statt weiter zu kriegen. Ali und einige andere waren derselben Meinung, andere dagegen wollten den Krieg lieber fortsetzen und trennten sich deshalb von Alis Heer. Die Anhänger der ausscherenden Gruppe wurden Chawaridsch genannt und betrachteten sich später als die einzigen wahren Moslems. Sie sollten Ali und Moawije noch einiges Kopfzerbrechen bereiten, bis Ali sie schließlich mit seiner Armee in Nahrawan angriff und ihnen einen vernichtenden Schlag zufügte, den kaum einer überlebte.

Nach vierjähriger Amtszeit hatte Ali fast alle Freunde und Anhänger verloren und dachte daran, wieder den Kampf gegen Moawije aufzunehmen. Aber seine Freunde waren nicht davon angetan, und es blieb ihm auch nicht mehr viel Zeit. Denn eines Morgens, als Ali in der Moschee von Kufa betete, wurde er von einem Chawaridsch namens Abdulrahman mit einem vergifteten Schwert schwer verletzt, so daß er zwei Tage später starb.

Mit Alis Tod ging die islamische Herrschaft vollständig in die Hände von Moawije über und wurde nunmehr erblich. Trotzdem dauerten die Auseinandersetzungen und das Blutvergießen unter den Moslems an, bis die Merwaniden an die Macht kamen und nach ihnen die abassidischen Kalifen. Al-Motassem Bilah, der letzte Abassidenkalif, wurde schließlich auf Geheiß des Mongolenherrschers Hülagü-Chan mit einem Filzteppich zu Tode gewickelt.

Hülagü-Chan war nämlich geweissagt worden, die Welt werde einstürzen, wenn dem Kalifen der Moslems auch nur die kleinste Verletzung zugefügt werde. Deshalb befahl der Mongolenherrscher, den Kalifen in einen Filzteppich zu wickeln und ganz vorsichtig einzurollen, bis er sich nicht mehr rühre. Und tatsächlich - die Welt stürzte nicht ein.

So fand das Amt des Kalifen zwar sein Ende, islamische Regierungen gab und gibt es aber in verschiedener Form bis heute.

Warum der Islam sich aufgespalten hat

Die Historiker führen zahlreiche Gründe dafür auf, daß sich der Islam gespalten hat. Im folgenden seien nur die Wichtigsten kurz genannt.

  1. Der Gegensatz zwischen Haschem und Omajje. Haschem war ein Urahne von Mohammad und hatte einen Cousin namens Omajje. Beide waren als Geschäftsleute in Mekka tätig und konkurrierten miteinander. Während Haschem dabei recht erfolgreich war und zu einem vermögenden Mann wurde, entwickelten sich unbedeutende Konflikte zwischen den beiden zu einem ausgewachsenen Streit. Das ging so weit, bis sie vor Gericht zogen. Omajje, der unterlag, mußte zur Strafe Mekka verlassen und nach Damaskus gehen. Seine Verbannung dauerte zehn Jahre, eine lange Zeit, in der sich zwischen den Familien des Haschem und des Omajje soviel Feindschaft und Groll ansammelte, daß sie an die Kinder und Enkelkinder weitergegeben wurde. Nach der Verkündung des Islam spielte diese alte Feindschaft eine wichtige Rolle bei der Gruppenbildung innerhalb des islamischen Staatsapparats und bei der Aufteilung der Moslems in Schiiten und Sunniten.
  2. Zwischen Medina und Cheibar lag die Ortschaft Fadak, eine jüdische Siedlung. Als Mohammad gegen Cheibar in den Krieg zog, ergab sich ihm die Bevölkerung von Fadak aus Angst um ihr Leben kampf- und widerstandslos. Die Einwohner von Fadak schlossen einen Friedensvertrag mit Mohammad, der vorsah, daß sie jährlich die Hälfte ihrer Ernte an Mohammad abzuführen hatten. So wurden die Juden dieses Dorfes zu Halbpächtern des Propheten. Mohammad bestimmte, daß die Pachteinkünfte den Armen und Notleidenden aus dem Hause Haschem zugute kommen sollten. Nach Mohammads Tod erhob seine Tochter Fatima bei Abu Bakr, dem ersten Kalifen, als Erbin Anspruch auf diese Einkünfte. Aber Abu Bakr wollte Fatima die Pachtzinsen aus Fadak nicht zugestehen. Als Grund gab er an, daß Mohammad kein Erbe hinterlassen habe. Dieser Ausspruch Abu Bakrs wird auf zwei Weisen ausgelegt. Einerseits ist mit "Erbe" Geld und Vermögen gemeint, andererseits die Nachfolge, das Kalifenamt. Der Ausspruch weist somit auch die Ansprüche der Sippe der Haschem zurück, die nach Mohammads Tod der Auffassung waren, daß die islamische Herrschaft und das Amt des Nachfolgers vom Propheten vererbt würden. Und auf dieses Erbe hätten natürlich die Haschem Anspruch.
  3. Bei seiner letzten Mekka-Reise hatte Mohammad auf dem Rückweg nach Medina an einem Ort namens Qadir-e Chom zu seinen Weggefährten gesagt: "Wer immer mich als Gottes Vertreter betrachtet, für den ist auch Ali Gottes Vertreter." Dieser Ausspruch des Propheten diente der Sippe Haschem nach Mohammads Tod dazu, den Nachfolgestreit für erledigt zu erklären, da Mohammad in Qadir-e Chom eindeutig Ali zu seinem Nachfolger bestimmt habe. Diese Auffassung wurde von Abu Bakr, Omar, Osman, dem Stamm der Qoreisch und insbesondere von der Sippe der Omajjaden nicht geteilt, weshalb es ständig zu Auseinandersetzungen zwischen den Haschemiten und den Omajjaden kam. 4- Auch unterschiedliche Interpretationen einzelner Koranstellen - etwa des Verses 55 der Ma'ida-Sure (Der Tisch)- führten zur Aufspaltung in verschiedene Lehrmeinungen.

Ein weiterer Streitpunkt betraf die Frage der göttlichen Eingebung und der Verbindung zwischen Mensch und Gott. Nach Mohammads Tod vertraten einige religiöse Führer die Auffassung, daß nach dem Tod des Propheten keiner mehr direkt mit Gott in Verbindung treten könne und auch keiner mehr Eingebungen von Gott empfangen könne. Denn Gott habe alles, was er sagen wollte, durch den Koran und die Vorschriften des Propheten offenbart. Die Sippe Haschem dagegen vertrat die Meinung, daß Ali vom gleichen Blut und der gleichen Familie entspringe wie Mohammad und daß Ali in Rat und Tat einem Propheten des Islam gleichkomme. Aus diesem Grund könne er ebenfalls direkt mit Gott in Kontakt treten und sich von ihm inspirieren lassen. Dies ist auch die Auffassung der Schiiten, die aus diesem Grund Ali für den direkten Nachfolger Mohammads halten. Die Anhänger der ersten Gruppe dagegen, die im Gegensatz zu den Schiiten nur den Koran und die von Mohammad eingeführten Traditionen (Sunna) akzeptieren, werden aus diesem Grund Sunniten genannt.

Ein paar Worte zu den Sunniten

Es wurde schon darauf hingewiesen, daß nach Mohammads Tod ein heftiger Machtkampf entbrannte, wer die politische und religiöse Macht über die islamische Gesellschaft ausüben sollte. Abu Bakr, Omar und Osman, alles adlige Qoreisch und Freunde Mohammads, genossen die Unterstützung der Mehrheit der Moslems, Ali dagegen wußte nur eine Minderheit hinter sich. Abu Bakr, Omar, Osman und ihre Anhänger stützten sich auf den Koran und die Sunna, sie akzeptierten das Prinzip des Mehrheitswillens und der Wählbarkeit des Amtes. Im Laufe der Zeit teilten sich die Sunniten in zahlreiche Zweige, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden: Die Hannefiten, die Malekiten, die Schafiiten und die Hanbaliten.

Die Sunniten ordnen ihre religiösen Quellen in folgender Reihenfolge: An erster Stelle steht der Koran. Es folgt die Sunna, d.h. die Überlieferung der Worte und Taten Mohammads mit allen Ratschlägen und Anweisungen, die auf ihn zurückgehen. An dritter Stelle ist die Idschma, die kollektive Meinung der religiösen Gemeinde, zu erwähnen. An vierter Stelle steht der Analogieschluß, indem man nach vergleichbaren Fällen aus der Vergangenheit und insbesondere aus der Zeit Mohammads sucht, für die Mohammad Lösungswege aufgezeigt hat.

Die Schiiten

Die Schiiten betrachten Ali als den wahren Nachfolger Mohammads, der allein würdig genug gewesen sei, das Amt zu übernehmen. Sie sind der Ansicht, daß die politische und religiöse Macht in der Hand eines Führers liegen müsse, der in seinem Verhalten, seinen Worten und Taten ganz Mohammad entsprechen müsse. Nach schiitischer Meinung besaß nach Mohammads Tod niemand außer Ali diese Eigenschaften, weshalb er auch das Recht hatte, sein Nachfolger zu werden. Der wahre Führer aller Moslems sei Ali gewesen. Nach Ansicht der Schiiten setzt sich die Führung der islamischen Welt nur über Ali und seine Kinder fort. Auch die Schiiten sind in verschiedene Zweige aufgespalten. Deren wichtigste sind:

Von diesen verschiedenen Zweigen haben die Zwölferschiiten die größte Anhängerschaft, sie zählen rund 130 Millionen Menschen. Die meisten von ihnen leben im Iran, Irak, Afghanistan und Pakistan.

Die Zwölferschiiten sehen Ali als ihren ersten Imam an, dann Hassan, den Sohn Alis, und dann Hossein, Hassans Bruder, dann Hosseins Sohn und so weiter, bis zum zwölften Imam. Dieser letzte Imam, der Mahdi, ist seit 941 n. Chr. "verborgen" und lebt noch immer. An dem Tag, an dem er die Zeit für gekommen hält, wird er wieder erscheinen, und auf der ganzen Erde wird Gerechtigkeit einkehren.

Die Zwölferschiiten und die Herrschaft des Rechtsgelehrten

Die Zwölferschiiten glauben, daß nach dem Tod Mohammads die Herrschaft der zwölf Imame begonnen und daß in der Zeit des "Entrückung" des zwölften Imams ein von diesem selbst bestimmter Vertreter die Herrschaftsgewalt übernommen hat. Nach dem Tod des vierten Vertreters kam es unter den Zwölferschiiten zu Meinungsverschiedenheiten, die zum Auftauchen neuer Denkschulen führte. Eine davon sind die Ussulis, die Prinzipialisten, unter denen wiederum diverse Strömungen entstanden sind, darunter auch die Schule der "Welajat-e Faqih", die die Theorie von der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" vertreten. Zu ihnen gehörte auch der verstorbene Ajatollah Chomeini. Die Idee von der Herrschaft des Rechtsgelehrten bildet das ideologische Fundament der Islamischen Republik Iran. Was versteckt sich dahinter?

"Herrschaft" im Sinne der Rechtsgelehrten bedeutet:

Erstens: Die Herrschaft Gottes.

Zweitens: Die Herrschaft Mohammads.

Drittens: Die Herrschaft der Imame.

Viertens: Die Herrschaft des Rechtsgelehrten.

Das gegenseitige Verhältnis dieser Herrschaftsstufen wird wie folgt erklärt:

Gottes Herrschaft wird auf Erden unter Mohammads Vermittlung ausgeübt. Nach Mohammads Tod wird Gottes Herrschaft und Mohammads Führung durch die zwölf Imame fortgesetzt. Nach den zwölf Imamen und bis zur Wiedererscheinung des entrückten zwölften Imams, also von Imam Mahdi, wird Gottes Herrschaft und die Führerschaft Mohammads sowie der zwölf Imame durch einen religiösen Führer ausgeübt. Nur dieser Rechtsgelehrte ist also legitimer Herrscher für die Zeit der Abwesenheit des Mahdi. Die Islamische Republik betrachtete Chomeini als diesen Rechtsgelehrten und als Stellvertreter des abwesenden Imam Mahdi. Aus diesem Grund erhielt auch Chomeini den Titel Imam.

Welajat-e Faqih: Die Herrschaft des Rechtsgelehrten

In diesem System ist der einzige Gesetzgeber Gott. Gottes Gesetze sind absolut und unveränderlich. Die Muslims stehen über den anderen Menschen. Muslimische Männer besitzen mehr Rechte als muslimische Frauen. Religiöse Minderheiten haben nicht so viele soziale Rechte wie die Anhänger des herrschenden Systems. Ungläubige und Gottlose besitzen unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten nicht nur keinerlei soziale Rechte, als Ketzer müssen sie auch vernichtet werden.

Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten wird die Bevölkerung als "Umma" (persisch: Ommat) bezeichnet, als Gemeinde der Gläubigen. Diese islamische Gemeinde wird als geistig beschränkt angesehen und bedarf daher eines Führers. Der Rechtsgelehrte hat als Führer das Recht, die islamische Gemeinde zu leiten. Das Verhältnis zwischen dem Führer und der Gemeinschaft der Gläubigen ist mit dem des Hirten und seinen Schafen vergleichbar.

Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten sind alle drei Gewalten, also die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die ausführende Gewalt in der Hand des Gelehrten vereint. In diesem System ist der Rechtsgelehrte politischer und religiöser Führer zugleich, er gilt als unfehlbar.

Alle heiklen Positionen, alle Schlüsselstellen der Macht sind mit Geistlichen besetzt, mit Personen, die das Vertrauen des Führers genießen.

In diesem System gilt die Meinung des Volks gegenüber der Meinung des Führers nichts, so wie ja auch der Wille des Volkes gegenüber dem Willen Gottes bedeutungslos ist.

In diesem System spielt die Angst eine ganz zentrale Rolle bei der Lenkung der Gesellschaft.

So wie die Menschen gottesfürchtig sein sollen, müssen sie sich auch vor dem Führer und der islamischen Herrschaft fürchten. Um diese Furcht am Leben zu erhalten, bedient sich dieses System verschiedener Methoden. Da wäre erstens das öffentliche Erhängen auf der Straße, die Massenhinrichtungen, das Ausstechen der Augen, das Abhacken der Hand von Dieben, die Steinigung von EhebrecherInnen. Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten hängt der Fortbestand der islamischen Regierung direkt von der Allgegenwart der Angst ab. Um dieses Angstgefühl im Bewußtsein der Bevölkerung wach zu halten, schlägt die islamische Regierung die geringfügigsten Proteste mit brutalster Gewalt nieder.

Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten zählt es zur Pflicht eines jeden Muslims, je nach der Gunst der Lage zur Ausweitung - zum "Export" - der islamischen Revolution beizutragen.

Die besonders frommen Anhänger des Revolutionsexports sind im übrigen der Ansicht, daß dies nur auf dem Weg der Gewalt möglich ist. Sie berufen sich dazu auf die Worte des Propheten, der den Heerführer Chalid ibn Walid mit dem Beinamen Saifullah - Schwert Gottes - auszeichnete. Chalid ibn Walid hatte einen bedeutenden Anteil an der Ausweitung des Islam, seiner Stabilisierung und Festigung durch zahllose Kriege und galt als besonders jähzorniger und blutrünstiger Feldherr. Die Anhänger des Revolutionsexports deuten diesen Sachverhalt so, daß die Ausweitung des Islam einzig und allein mit Waffengewalt zu erreichen sei. Sie sind der tiefen und festen Überzeugung, daß der Islam eine Religion des Schwertes war und ist.

Quellen:

Ali Schirasi
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sw, 29.09.01