linksrhein Quelle: Schwäbische Zeitung, 17.11.2004
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Lautes Weinen erlaubt: Die Sterbebegleitung im Iran

Sigmaringen (sgr) - Einen spannenden und lehrreichen Vortrag über Sterbe- und Trauerbegleitung im Iran hatte die Sigmaringer Hozpizgruppe unter Enno Walter in den Räumlichkeiten der AOK Sigmaringen veranstaltet. Referenten waren das iranische Lehrerehepaar Ali und Solale Schirasi, die seit einigen Jahren als freie Schriftsteller in Deutschalnd leben.

Zahlreiche Zuhörer kamen mit unterschiedlichenn Erwartungen zu dem Vortrag, der im Wesentlichen den Umgang mit Tod und Sterben in einer iranischen Grossfamilie beschrieb. Doch durch interessiertes Fragen des Publikums beschränkte sich das Referat nicht nur auf dieses Thema, sondern berührte auch religionsrelevante Bereiche, den Fundamentalismus, sowie die Stellung der Frau im Islam allgemein und im Iran im besonderen. Packend berichteten beide aus dem Leben im Iran und unter dem Islam, zeigten die umfassende Bedeutung und den Einfluss der Familie, von Rgeeln und Ritualen auf, die in der Regel von der Scharia, der islamischen Gesetzgebung, bestimmt sind.
Alte und pflegebedürftige Menschen bleiben bis zum Schluss in der Familie, was sowohl mit der Tradition der Großfamilie zu tun hat, als auch mit dem Mangel an Pflegeeinrichtungen. Wie Solale Schirasi verdeutlichte, sind in den letzten Jahren die Großstädte rasant gewachsen, nicht aber die Infrastruktur. Die islamische Tra-

dition des Iran hat berufstätige Frauen schon immer zugelassen, deshalb mache die Zunahme alter und pflegebedürftiger Menschen deren Versorgung immer schwieruger. Auch zählen pflegende Beruf zu den niederen Arbeiten, weswegen es sehr wenige gibt, die diese Arbeiten professionel ausüben. Die Pflege bleibt somit an den Frauen hängen.
Zeichnet sich das Sterben ab, ist jeder Verwandte, auch die zerstrittenen, verpflichtet, den Kranken zu besuchen. Der Sterbende wird nicht allein gelassen, wo-

bei im Vorfeld schon mit dem Betreffenden über die Gestaltung seiner Trauerfeier und seinen Nachlass gesprochen wird. Denn nach seinem Tod gelten die Gesetze der Scharia, die bestimmen, dass die Witwe nur ein Achtel des Vermögens erhält und eine Tochter nur die Hälfte dessen, was einem Sohn zusteht.
Nach dem Tode beginnt lautes Klagen, das nicht nur Schmerz ausdrücken, sondern auch die Umgebung informieren soll. Von der Leichenwäsche bis zur Beerdigung ist alles vorgeschrieben, auch das

Der in Deutschland lebende Schriftsteller Ali Schirasi (links) uns seine Frau Solale berichten lebendig und anschaulich über iranische Traditionen bei einem von der Hospizgruppe veranstalteten Vortrag.
Foto: Susanne Grimm

laute Weinen. In der Trauerzeit dürfen das auch die Männer, die wegen politisch bedingter, mangelnder Kundgebungsmöglichkeiten die Klagezeit nutzen ihren Unmut am System herauszuschreien, wie Ali Schirasi betonte.
Die lebendige und farbige Veranstaltung bereicherten das Ehepaar mit einem iranischen Trauertisch, an dem sie traditionelle Köstlichkeiten reichten.

Auf einen Blick


Ali und Solale Schirasi

Ali Schirasi hatte unter dem Schah und unter Khomeini im Gefängnis gesessen, (seine Frau Solale ebenfalls) wegen des Versuchs, eine Lehrergewerkschaft aufzubauen und seiner politischen Aktivitäten. Nach den dort gemachten, barbarischen Erfahrungen konnte er 1987 aus dem Iran fliehen und hat seither als freier Schriftsteller etliche Bücher geschrieben, zahlreiche Vorträge und Lesungen gehalten. Er hat für sein jüngstes Buch "Steinregen" im Jahre 2002 den Ingeborg-Drewitz- Literaturpreis erhalten. Die Schirasis halten auch Vorträge zu anderen Themen, wie beispielsweise der Frauenrechte im Islam. Kontaktaufnahme: Ali Schirasi, c/o Georg Warning, PF 5303, 78432 Konstanz, Tel: 0160-4183822, email: alishirasi@hotmail.com, Internet: www.alischirasi.de

(sgr)
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sw, 19.10.04