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Ein iranischer Journalist, der nach Deutschland geflohen ist, ruft nach acht Monaten bei sich zu Hause an. Hören wir, wie das Gespräch verläuft:
Journalist: "Hallo..., Halloo..., Hallooo...!"
Am anderen Ende der Leitung ertönt eine schwache Stimme. Der Journalist wartet einen Moment und versucht es wieder:
"Hallo..., Hallo..., Schabnam, bist du es?"
Schabnam, die Tochter des Journalisten: "Papa, Papa, bist du's? Wo steckst du? Von wo rufst du an?"
Journalist: "Vom Bodensee."
Schabnam erstaunt: "Bodensee? Wo ist das?"
Journalist: "Ein schöner Süßwassersee im Süden von Deutschland."
Schabnam: "Was für ein Glück! Und wie geht es dir?"
Journalist: "Nicht schlecht. Ich hab nur ein bisschen Bauchweh."
Schabnam: "Wie das? Hast du dort etwa einen Artikel in der Zeitung geschrieben? Den Führer kritisiert? Haben dir gar die Leute von der Gottespartei dort einen Gewehrkolben in den Bauch gestoßen?"
Journalist: "Von wegen. Ich habe nichts geschrieben. Mein Bauchweh kommt von was anderem."
Schabnam: "Von was?"
Journalist: "Von den Esspaketen."
Schabnam: "Esspaket? Was ist denn das? Ess? Hat das was mit der SS zu tun?"
Journalist: "Nein! Was redest du da von der SS. Die Zeiten sind seit langem vorbei. Hier herrscht Freiheit, eine humane Gesellschaft."
Schabnam: "Was heißt dann Esspaket?"
Journalist: "Das ist eine Kiste mit Essen. Der Staat hier ist sehr fürsorglich. Die Flüchtlinge können ja kein Deutsch, und damit sie nicht unnötig Zeit verlieren und den Deutschunterricht besuchen können, statt von einem Geschäft zum nächsten herumzuirren, bringt der Staat die Kiste mit dem Essen den Flüchtlingen an die Tür."
Schabnam: "Mann, das ist ja toll! Was ist das doch für ein menschenfreundlicher Staat! Wenn die doch auch hierher kämen und die Regierung bei uns übernähmen. Dann könnten sie unser Öl und unser Gas haben und uns dafür Esspakete statt Waffen geben!"
Journalist: "Genau, es ist wirklich ein guter Staat! Nur haben die Esspakete zwei Fehler."
Schabnam: "Welche?"
Journalist: "Erstens ist es viel zu viel!!!!"
Schabnam: "Das ist doch kein Fehler!"
Journalist: "Und zweitens hat das Essen in der Kiste eine ausgezeichnete Qualität."
Schabnam: "Das ist doch auch kein Fehler!"
Journalist: "Meine liebe Schabnam, heute scheint's dir nicht so gut zu gehen. Du verstehst gar nicht, was ich sage und warum ich Bauchweh habe.. Grüß Mama von mir, und Tschüüß!"
Hier endet das Telefongespräch.
Ali Schirasi, 25.11.2000Startseite |
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