Startseite | politische Texte |
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, damals, als Berlin zweigeteilt wurde und der eine Teil Ostberlin, der andere Westberlin genannt wurde, breiteten sich rasch zwei Begriffe in der politischen Literatur der ganzen Welt aus: der Ostblock und der Westblock - letzterer wurde in Deutschland als "der Westen" bezeichnet. Genauso, wie in Ostberlin die Sowjetunion das Sagen hatte und in Westberlin die USA, wurden auch auf der großen Weltbühne die beiden Supermächte zu den wichtigsten Gegenspielern. Beide traten mit dem Anspruch auf, mit ihren Methoden die Welt vor Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Obdachlosigkeit und Hunger retten zu wollen. Der Wettlauf steigerte sich mit Atomversuchen und dem Bau moderner Waffen, begleitet von intensiven Anstrengungen an der Propagandafront. Aber neben dem Ostblock und dem Westblock existierte noch ein dritter Block, im Westen als Entwicklungsländer, im Osten als zurückgebliebene, unterentwickelte Länder bezeichnet. Wir selbst aber bezeichneten uns gegenüber den beiden Blöcken als Dritte Welt.
In der Dritten Welt schlummerten riesige Rohstoffvorräte, von deren Bedeutung nur wenige wussten und ahnten, über was für ein gewaltiges wirtschaftliches Potential sie verfügten, während Armut und Hunger, Krankheit und Obdachlosigkeit und Ungerechtigkeit grassierten. Die Amerikaner und die Sowjets wetteiferten miteinander, die Dritte Welt zu retten, und jeder von ihnen setzte dazu seine Mittel ein.
In der Dritten Welt unterstützten die Amerikaner in politischer Hinsicht eine kleine, vermögende Minderheit, und wenn's hoch kam, musste der autokrate Herrscher des Landes zugunsten eines gewählten Präsidenten abdanken. Aber um diesen Herrscher oder Präsidenten der Reichen zu schützen, musste das Land aufrüsten, Armee, Polizei und Sicherheitsdienste wurden nach amerikanischem Vorbild aufgebaut und mit immer modernen Waffen ausgerüstet.
In der Wirtschaft - egal ob in der Industrie, der Landwirtschaft oder dem Dienstleistungssektor - wurde nur in Bereichen investiert und modernisiert, die für die Amerikaner bzw. den Westblock gewinnträchtig waren. Dieses Vorgehen führte zu noch stärkerem wirtschaftlichem und politischem Ungleichgewicht. Und da die Bevölkerung in der Dritten Welt reichlich zunahm, stiegen Armut, Hunger, Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit auch noch an, statt zurückzugehen oder gar ausgerottet zu werden. Das waren schlechte Voraussetzungen, um soziale Krisen zu verhüten.
Die Sowjetunion, die im Vergleich zur USA nicht so reich und nicht so entwickelt war, konnte nur im Bereich der Kernwaffen und der Rüstung mithalten. So zog sie es vor, mit den Parolen von Gleichheit, Freiheit, Brot und Wohnraum die Herzen der Dritten Welt zu erobern, und unterstützte lokale und regionale Bewegungen und Proteste. Da und dort wurde eine Regierung gestürzt, und eine andere kam an die Macht, und dann erst zeigte es sich, dass das Land auf eine Einparteienherrschaft zumarschierte, dass Armee, Polizei und Sicherheitsapparat nach sowjetischem Muster ausgebildet und mit sowjetischen Waffen ausgerüstet wurden. Aber die Armut blieb, der Hunger und die Obdachlosigkeit verschwanden nicht. Auch die Arbeitslosigkeit blieb bestehen.
In einer Welt der Konkurrenz zwischen der Sowjetunion und Amerika bestand die Strategie beider darin, die Ausbreitung des Rivalen in den Ländern der Dritten Welt zu verhindern und ihn wenn möglich aus seinen Positionen zu vertreiben.
Für uns, Menschen der Dritten Welt, war die Art Amerikas, uns zu "helfen", mit den Händen greifbar. An der grenzenlosen Machtanhäufung des Zentrums, an der zunehmenden Präsenz von Armee, Polizei und Sicherheitsdienst sowie an der Landflucht und dem Anwachsen der Slums um die Großstädte konnten wir den Unterschied zwischen Amerikas Worten und wahren Zielen leicht ablesen.
Dagegen war es für uns keineswegs so einfach, zu spüren, was die Sowjets im Schilde führten. Denn dazu mussten wir erst einmal auf die Straße gehen, einen Partisanenkrieg in die Wege leiten und unter Opfern aus den eigenen Reihen das herrschende Regime stürzen, um den Weg für den Einparteienstaat zu ebnen. Wenn dann die Partei, die die Unterstützung der Sowjets genoss, allein regierte, erlebten wir aus nächster Nähe, dass auch die Sowjets ihre Gefängnisse haben, Menschen foltern und von Freiheit keine Spur zu sehen ist, dass auch der Ostblock nur im Sinn hat, unsere Taschen zu leeren und seine zu füllen.
Der Westen unter der Führung der USA trug nicht die Absicht, mit Parolen wie Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Sozialismus bei uns hausieren zu gehen, und machte sich auf die Suche nach einer Alternative zu diesen Parolen und vollmundigen Forderungen. So kam es, dass der Westen Abhilfe im religiösen Fundamentalismus suchte, und da die Weltwirtschaft mit den Erdölinteressen im persischen Golf verbunden ist, wurden die islamischen Fundamentalisten in dieser Region vom Westen, namentlich Großbritannien und den USA unterstützt. Mit finanzieller Hilfe aus dem Westen breiteten sich islamische Institutionen unter der Führung von Fundamentalisten rasch aus, und islamische Bewegungen, die die lokale Regierung bekämpften, waren in der Lage, sich umzustrukturieren und ihre Basis zu erweitern. Während demokratische und linke Bewegungen von der einheimischen Armee, der Polizei und vom Geheimdienst massiv unterdrückt wurden, konnten die islamischen Bewegungen sich sogar bewaffnen. Zur Erlangung seiner strategischen Ziele gegenüber der Sowjetunion war der Westen sogar zu einer taktischen Zusammenarbeit mit fundamentalistischen islamischen Bewegungen bereit und trat mit ihnen in Verhandlungen ein.
In den islamischen Staaten am persischen Golf und am Kaspischen Meer waren die Sowjets und die linken Bewegungen mit ihren Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit auf einmal nicht mehr im Mittelpunkt. Die islamischen Fundamentalisten liefen ihnen mit neuen Losungen den Rang ab, indem sie erklärten, dass Kapitalismus wie Kommunismus gleichermaßen in der Praxis versagt hätten und unfähig seien, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Es gebe nur einen Weg, und das sei eine islamische Regierungsform. Nur mit der Errichtung eines solchen Modells könne die islamische Welt und letztlich auch der Rest der Welt von der Not erlöst werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Investitionsschwerpunkt immer mehr von den Anrainerstaaten des Atlantiks zum Pazifischen Becken. Denn die Löhne, die hohen Bodenpreise, die Steuerlast, die Gesetzgebung und die Existenz der Gewerkschaften der ersteren schmälerten die Gewinne, während in den teilweise unberührten Ländern am Pazifik Bodenpreise und Löhne niedrig waren, und von hohen Steuern, starken Gewerkschaften und einer Sozialgesetzgebung nicht die Rede sein konnte. Die einheimischen Regierungen sorgten mit Hilfe von Armee, Polizei und Geheimdienst für die notwendige Investitionssicherheit.
Mit der Verlagerung des Investitionsschwerpunkts ins Pazifische Becken mussten auch Rohstoffe wie Öl und Gas in diese Region geleitet werden. Da die Lagerstätten am Persischen Golf und am Kaspischen Meer zu den größten der Welt gehören, nahm der Iran zwischen der Sowjetunion und Amerika eine Schlüsselstellung ein. Angesichts des Unvermögens der Sowjets, den Iran für sich auszubeuten, eroberten sie Afghanistan, um langfristig auf diesem Weg Öl und Gas ins Pazifische Becken zu befördern und sich so einen größeren Anteil am Geschäft in der Region zu sichern.
Unterdessen hatte der Westen unter der Führung der USA seine in Chomeini, einen Gegner von Kommunismus und Kapitalismus, gesetzten Hoffnungen verloren. Denn Chomeini erstrebte, so wie er es in seinem Buch "Die islamische Regierung" geschrieben hatte, den Aufbau eines islamischen Modells, und zwar eines schiitischen Modells.
In seinen Reden vor den Revolutionswächtern hatte Chomeini wiederholt erklärt, dass die Welt drei Farben habe: Grün, Rot und Weiß. Es sei die Aufgabe der islamischen Revolution, die Welt mit einer Farbe zu überziehen, und zwar mit Grün, der Farbe des Propheten Mohammad. Chomeini schreckte vor keinem Massaker zurück, um sein Ziel zu verwirklichen. Der Westen konnte mit eigenen Augen sehen, wie Tausende von Iranern von den Revolutionswächtern zur Hinrichtung abgeführt wurden.
So machte er sich auf die Suche nach einem neuen islamischen Modell, diesmal einem sunnitischen, das in der Lage wäre, in Konkurrenz zu Chomeini zu treten, und außerdem auch die Sowjets aus Afghanistan vertreiben könnte, um den Weg für die Erdöl- und Erdgaspipelines zum Pazifik frei zu machen. Mit amerikanischer Hilfe und amerikanischen Waffen, mit Geld aus Saudi-Arabien und militärischer Schulung durch das pakistanische Militär wurden die Mudschahedin so aufgebaut und organisiert, bis sie den Sowjets, die die USA in Vietnam zu Fall gebracht und in die Flucht geschlagen hatten, das selbe Ende in Afghanistan bereiteten.
Amerika, das nach dem Sieg über den Irak die Oberhoheit über den Persischen Golf erlangt hatte - bei der Gelegenheit konnte es auch gleich seine modernen Waffensysteme erproben, machte sich nun wieder Gedanken, wie es in Afghanistan Sicherheit und Ordnung schaffen könne, und so kam es unter der Obhut der USA, Saudi-Arabiens und Pakistans besonders entlang der pakistanisch-afghanischen Grenze zu einer Blüte von Koranschulen.
Diesmal wurden nicht nur afghanische Flüchtlinge, sondern auch Fundamentalisten aus arabischen Staaten, aus Jemen, Ägypten, auch aus Indonesien und sogar aus den USA im Koran und an den Waffen unterrichtet.
Nachdem die USA, Saudi-Arabien und Pakistan so die Taliban aus der Taufe gehoben hatten, brachten diese nach und nach 90 Prozent des afghanischen Territoriums in ihre Gewalt. Sie schufen ein islamisches Modell für die sunnitische Welt. Die Folge war, dass Schreckensmeldungen aus Afghanistan über die Unterdrückung der Frau und den Beschuss von Buddha-Statuen um die Welt gingen. Die Schöpfer dieses Modells, Molla Omar, Bin Laden und wie sie alle heißen, befanden, dass die Sitten und Werke, die Philosophie und die Kunst des Imperialismus vom Erdboden getilgt werden müssten. Hier standen sich zwei Weltbilder gegenüber: ein islamisches und ein amerikanisches. Chomeini hatte, um die Führung in der islamischen Welt zu erlangen, um seinen Ruf zu festigen und seine Macht zu zeigen, die Botschaft des "großen Teufels" Amerika in Teheran besetzen lassen und die darin befindlichen Menschen in Geiselhaft genommen. Und nachdem er im iranisch-irakischen Krieg eine bittere Niederlage erlitten hatte, erließ er zum Ausgleich die Todesfatwa gegen Salman Rushdie.
Womit konnte Bin Laden oder wer auch immer besser beweisen, dass er Chomeini in seinem Anti-Amerikanismus übertreffe und berechtigten Anspruch auf die Führung der islamischen Welt erhebe, als durch einen Angriff seiner Anhänger auf das Welthandelszentrum und das Herz des US-Verteidigungsministeriums? So schreckte er nicht vor diesem Angriff zurück, der den Tod von tausenden arbeitenden Menschen bedeutete, die ein ganz normales Leben führten. Dieses Massaker erschütterte die ganze Welt. Ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte wurde geöffnet.
Die US-Regierung, die gerade mit einer Wirtschaftskrise kämpft, ist dabei, ihre Waffenarsenale zu leeren und hat die Aufnahme von Krediten für den Bau neuer Waffen ins Auge gefasst. Den Kampf gegen den Terrorismus nutzt sie dazu, die Vollmachten der Zentralregierung zu stärken und die Vormachtstellung des Präsidenten auszubauen. Den Menschen in aller Welt sitzt der Schock von diesen Anschlägen in den Knochen - eine günstige Gelegenheit für die Regierenden, Armeen, Polizeien und Geheimdienste zu modernisieren und mit mehr Mitteln auszustatten, um die Bevölkerung vor den Terroristen zu schützen. Vor eben jenen Terroristen, die diese Armeen, Polizeien und Geheimdienste ausgebildet und herangezüchtet haben. Klar, dass die Modernisierung eine Menge kostet, und so ist es nur gut für die Regierungen, wenn die Bevölkerung derart verängstigt ist, dass sie sich gern für solche Zwecke mehr Geld abknöpfen lässt und auch bereit ist, von ihren bisherigen Freiheiten und sozialen Rechten Abschied zu nehmen.
Nun, da die Taliban in Afghanistan besiegt sind, Molla Omar und Bin Laden auf der Flucht sind und ihre zum Letzten bereiten Anhänger sich zu Tausenden ergeben haben, frage ich mich:
Wird jetzt in Afghanistan Ruhe und Frieden einkehren?
Wird die Bevölkerung Afghanistans jetzt von Armut und Krankheit, Hunger und Obdachlosigkeit befreit?
Wird die Quelle dieser Übel in der Region jetzt trocken gelegt, so dass keine neuen Typen von der Sorte Bin Ladens, Molla Omars oder Chomeinis auftauchen?
Werden jetzt keine Terroristen mehr ausgebildet um andere Menschen umzubringen?
von Ali Shirasi, 14.12.2001
Startseite |
sw, 1.1.02