linksrhein Quelle: Backnanger Kreiszeitung, 19.12.2013
  Startseite Zeitungsberichte zurück  weiter 

Warum ich aus dem Iran fliehen musste

Ali und Solale Schirasi sprachen im Beruflichen Schulzentrum Backnang über Menschenrechte

Zum Tag der Menschenrechte besuchten der Autor Ali Schirasi und seine Frau Solale Schirasi das Berufliche Schulzentrum Backnang. Unter dem Titel Menschenrechtsverletzungen im Iran und warum ich aus dem Iran fliehen musste hielten sie einen Vortrag mit Leseproben und anschließender Diskussion.

BACKNANG. Die Schülerinnen Tanya Riegraf und Teresa Trautwein der Klasse 11/2 des Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums der Anna-Haag-Schule schrieben folgenden Bericht über die Veranstaltung, zu der die Bibliothek eingeladen hatte.

Zurückhaltend tritt der stark von seiner Vergangenheit gezeichnete, 1940 geborene Mann vor die Schüler. Mit einer vorsichtigen Stimme beginnt Ali Schirasi sich und seine Frau vorzustellen, mit Gesten unterstreicht er seinen Bericht. Als würde er sein Leben noch einmal durchleben, erzählt er seine Geschichte.

Er spricht von seiner von Armut geprägten Kindheit, von seinem Wunsch, diesen Verhältnissen durch Bildung zu entfliehen, Lehrer zu werden. Die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die er immer stärker wahrnimmt, führen zur konspirativen Auflehnung gegen den Staat des Schahs Reza Pahlevi und zu seinem Eintreten für demokratische Veränderungen.

Nach einer Auslandsreise erfolgt 1975 die willkürliche Festnahme des Ehepaares. Die unter Missachtung jeglicher Menschenrechte folgende Gefangenschaft, in der Folterungen an der Tagesordnung waren, belasten die Schirasis bis heute körperlich und emotional. Nach dem Sturz des Regimes kam Hoffnung auf eine neue, liberale und demokratische Gesellschaft auf. Diese Hoffnung wurde leider bitterlich enttäuscht, denn das neue islamische System unter Ayatollah Khomeini beschnitt nach und nach noch mehr die Rechte seiner Bürger und installierte einen totalitären vordergründig religiös motivierten Staat. Weil demokratische Ideen auch in diesem Fall keinen Platz hatten, wurde Ali Schirasi 1983 erneut aus politischen Gründen inhaftiert. Es waren die gleichen Schergen von früher, die ihn nun wieder quälten und folterten. Nachdem er sich aus dem Ewin-Gefängnis hatte retten können, gelang ihm 1987 eine nahezu unglaubliche Flucht, und er konnte Asyl in Deutschland finden. Die neu gewonnene Freiheit nutzt er auch dazu, seine Erfahrungen und Emotionen literarisch in Form von Gedichten und Prosa zu verarbeiten und zu veröffentlichen. Immer wieder wirkt der Autor tief bewegt, vor allem, wenn er von seiner Gefangenschaft erzählt.

Aus seinem Buch Die Nacht zerbricht liest Ali Schirasi eine bewegende Passage vor und zieht die Schüler völlig in seinen Bann. Auf einmal scheinen die Schüler ernsthaft zu begreifen, unter welchen harten Lebensbedingungen Menschen aufwachsen können, welche Macht politische Systeme haben und wie massiv Menschen unterdrückt werden können. Am Beispiel der Familie Schirasi wird klar, dass die dadurch verursachten Alpträume kaum wieder aus dem Kopf zu bekommen sind.

Auch Solale Schirasi beeindruckt nicht nur mit ihrer temperamentvollen Stimme. Sie zeigt Menschenrechtsverletzungen am Beispiel, wie Frauen im Iran zu leben haben, auf. Die Schüler sind sehr erstaunt zu erfahren, wie die Frauen dort ihren Alltag verschleiert meistern müssen. Zusammen mit Bibliothekarin Christiane Engelmann-Pink demonstriert Solale Schirasi das Leben mit der Verschleierungspflicht. Den Hidschab ein Schleier mit einem Gitter, um atmen und sehen zu können, der alles zur Punktbeschreibung reduziert nennt Solale Schirasi ein Gefängnis. Ein weiterer Schleier, den man Tschador nennt zu Deutsch: das Zelt durfte Christiane Engelmann-Pink auch noch für das jugendliche Publikum anziehen. Es ist ein schwarzes Tuch, zugeschnitten zu einem Halbkreis, den die Frauen mit einer Hand zuhalten müssen. Das heißt, sie haben ihren Alltag mit nur einer Hand zu meistern, also Kinder halten, einkaufen, arbeiten und so weiter.

Anschließend beantwortete das Ehepaar die zahlreichen Fragen der Zuhörer. Auf die Frage, wie sich das Land heutzutage entwickelt, antworten beide, dass sie immer noch auf eine Modernisierung und Demokratisierung des Staates Iran hoffen. Auch wenn es derzeit zaghafte Lockerungsbestrebungen gibt, ist der Iran jedoch noch weit davon entfernt, weshalb auch heute noch vor allem junge Menschen vor der Strenge des Systems fliehen. Die Schirasis plädieren für eine Trennung von Staat und Religion, für religiöse Freiheit, für eine weltliche Gesetzgebung, die nicht mehr dem in vielen Bereichen veralteten Gesetz der Scharia verpflichtet ist. Als Beispiel wird hier auch die Bezahlung von Strafen mit Kamelen genannt, was auch ein Umrechnen in moderne Währung erfordert. Zum Schluss las Solale Schirasi noch eine inhaltliche Zusammenfassung des neuesten Romans mit dem Titel Die Wüste glimmt vor.

Nicht nur als Zeitzeugen, sondern vor allem als persönlich Betroffene, schafften es Ali und Solale Schirasi, die Schüler auf sehr authentische Weise für das Thema Menschenrechte zu sensibilisieren. Diese besondere Geschichtsstunde hat sicherlich einigen die Augen geöffnet für den Wert von Freiheit und Demokratie und dafür, dass es auf diesem Gebiet auch 65 Jahre nach der Unterzeichnung der Erklärung für Menschenrechte noch viel zu tun gibt...

  Startseite zurück  weiter