linksrhein
  Startseite politische Texte zurück  weiter 

Islamische Verschleierung - ein Blick in die Geschichte

Die Anfänge

Seit einiger Zeit wird das Kopftuch muslimischer Frauen in europäischen Staaten nicht mehr als Frage der Religion und persönlichen Überzeugung wahrgenommen. Statt dessen gibt es heute Anlass zu politischen und juristischen Debatten und Auseinandersetzungen, die inzwischen auch vor den Gerichten, Parlamenten und durch Verbote im Schulwesen ausgetragen werden. Damit nicht genug - die Entführung zweier französischer Journalisten im Irak, die von der Forderung der Aufhebung des Kopftuchverbots in französischen Schulen begleitet war, hat dem Ganzen noch eine zusätzliche Dimension verliehen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was sind denn die Anfänge des Kopftuchs, das heute neben dem Schwert zum zweiten Symbol des Islams aufgestiegen ist? In verschiedenen Regionen und zu verschiedenen Zeiten haben Frauen und auch Männer entsprechend den klimatischen Bedingungen ständig oder gelegentlich eine Kopfbedeckung getragen. Diese Kopfbedeckung orientierte sich auch an der sozialen und politischen Stellung und der jeweiligen Mode, so dass ihre Gestalt von Land zu Land und im Laufe der Zeit variierte. Es gibt nur wenige Regionen und Zeiten, in denen man gar nichts auf dem Kopf trug.

Der Islam bildete sich vor rund 1400 Jahren auf der Arabischen Halbinsel heraus. Das heiße, trockene Klima veranlasste deren Bewohner, sich ständig mit weiten, langen Gewändern zu bekleiden und ihren Kopf mit einem großen, dünnen Tuch zu schützen. Der Stoff legte sich wie ein Schutzzelt um ihren Körper und verhinderte dessen übermäßige Austrocknung - in dieser sengenden Hitze und trockenen Luft ein Gebot der Vernunft. So hat die Verhüllung des Körpers auf der Arabischen Halbinsel eine lange Tradition, die um ein Mehrfaches älter ist als der Islam. Allerdings war die Verhüllung der Frauen schon zu den Anfängen des Islams ein Thema, das zu Diskussionen Anlass gab. Was verraten uns die islamische und die geschichtliche Überlieferung hierzu?

Der Hidschab - eine Wand zur Trennung der Geschlechter

In der Überlieferung der Taten und Aussprüche des Propheten Muhammad heißt es, dass Omar, der zweite Kalif, dessen Tochter eine von Muhammads Frauen war, einmal zu seinem Schwiegersohn meinte: "Gesandter Gottes, deine Frauen begegnen anständigen Männern ebenso wie unanständigen. Es wäre besser, wenn du deine Frauen, die die Mütter der Gläubigen sind, anweisen würdest, zu Hause zu bleiben." Und in einer anderen Überlieferung sagte Omar zum Propheten: "Gesandter Gottes, halte deine Frauen im Hause fest!" Auch wird überliefert, dass der Prophet zu seiner Hochzeit mit Sejnab, der Tochter eines arabischen Adligen, eine große Zahl von Gästen geladen hatte. Aber statt nach dem Abendessen das Haus zu verlassen, blieben die Gäste weiter sitzen, während Muhammad gegangen war, um nach seinen anderen Frauen zu schauen. Als er zurück kam, saßen die Gäste noch immer im Zimmer der frisch vermählten Braut und unterhielten sich. Angesichts solcher Gemeinheit blieb Muhammad nichts anderes übrig, als seinen Gott um Hilfe zu bitten. Und so erhielt er als göttliche Eingebung den Vers 53 der Sure "al-Ahsaab" (die Verbündeten), in dem Gott dem Propheten auftrug, den Männern zu sagen, sie sollten das Fest nicht über Gebühr ausdehnen und sich mit den Frauen des Propheten nur unterhalten, wenn sie durch einen Sichtschutz getrennt seien, damit ihr Herz rein bleibe.

Nach einer anderen Überlieferung heißt es, dass Muhammad einmal auf einem Festmahl bemerkte, dass einer der Gäste die Hand seiner Lieblingsfrau Aischa berührt hatte. Sein Herz drehte sich ihm im Leibe um, und bald kamen ihm zahlreiche göttliche Eingebungen, die die Verhüllung der Frauen und insbesondere der Frauen des Propheten zum Inhalt hatten. Hierzu gehören auch Vers 59 der Sure "al-Ahsaab" (die Verbündeten) und Vers 31 der Sure "an-Nur" (das Licht).

Eine weitere tradierte Überlieferung besagt, dass die Frauen des Propheten mitunter gezwungen waren, nachts ein stilles Örtchen außer Hauses aufzusuchen. Leider waren sie dabei von Nachstellungen besonders dreister Männer nicht sicher, die versuchten, die Frauen zu belästigen. Deshalb beschwerten sich die Frauen bei Muhammad, worauf die Beschuldigten sich damit herauszureden versuchten, dass sie sich geirrt und die Frauen für Sklavinnen gehalten hätten. Um solchen ‚Irrtümern' künftig vorzubeugen, entschied Muhammad, dass freie Frauen sich künftig bedecken sollten, damit man sie so von Sklavinnen unterscheiden könne.

Zwei Jahre nach der Einführung des Hidschab stellte Muhammad eine weitere Regel auf, nämlich dass seine Frauen zu Hause bleiben und von den Männern getrennt sein sollten. Der Hidschab als ‚Sichtschutz' und die Verbannung der Frauen aus der Öffentlichkeit (arabisch: Hasr) waren zwei eng zusammenhängende Gebote, die sich ergänzten und rasch an Bedeutung gewannen.

So erwähnt eine Überlieferung, dass Omar, der zweite Kalif, einmal in seinem Hause einer Frau begegnete, die eine Dscholbab, ein weites Überwurftuch trug. Höflich wartete er, bis sie gegangen war, bevor er das Zimmer betrat, in dem sie sich aufgehalten hatte. Er fragte seine Frau, wer das gewesen sei. Als sie ihm erzählte, dass sie die Sklavin einer befreundeten Familie sei, regte Omar sich auf und verbot den Sklavinnen, sich so zu kleiden wie die freien Frauen. Dieses Verbot fand später in ganz Medina Anwendung. Die Anordnung des Kalifen trug zur Verbreitung der Verschleierung - des Hidschab - bei, und führte dazu, dass die Frauen in zwei Gruppen eingeteilt wurden: die Freien, die den Hidschab trugen, und die Unfreien, die ihn nicht tragen durften.

Die zitierten Überlieferungen bilden die Basis für die Verhüllung der Frau, die unter den Moslems weithin akzeptiert ist.

Es wird deutlich, dass die einschlägigen Vorschriften in Wirklichkeit durch die Sitten und Umgangsformen sowie die Lebensumstände der arabischen Stämme jener Zeit bedingt sind. Und es gilt zu bedenken, dass die Verhüllung der Frau zu Beginn des Islams nicht mit dem gleichzusetzen ist, was in späteren Jahrhunderten unter den Moslems üblich wurde. So findet sich in den Anfängen nichts über die Bedeckung des Gesichts.

Die Wandlungen des Hidschabs

Der Hidschab, den der Prophet seinen Frauen vorschrieb, ist nicht zwangsläufig das, was heute in islamischen Ländern zu sehen ist. Zu Beginn des Islams war es jedenfalls nicht verboten, das Gesicht der Frau zu sehen. So setzen einige Rituale des Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, sogar voraus, dass die Frauen Gesicht und Hände unbedeckt halten, und sämtliche islamische Schulen sind sich in diesem Punkt einig. Die Schafi'iten, ein Zweig des sunnitischen Islams, sind auch der Überzeugung, dass der Mann das Recht hat, die Frau vor der Heirat zu sehen.

Mit dem Vorrücken des Islams nach Persien, ins Zweistromland und nach Syrien wurden die Unterschiede zwischen den Gesellschaftsschichten stärker, und die häusliche Isolierung und Verhüllung der Frau wurde immer wichtiger. Denn mit der Eroberung neuer Länder nahm einerseits die Zahl der Sklavinnen zu, andererseits standen auch die freien Frauen dieser Länder im Blickfeld. Da die muslimischen Frauen den Hidschab tragen mussten, diente dieser auch dazu, sie von nicht-muslimischen zu unterscheiden.

Als die Beschränkungen für die Bewegungsfreiheit der Frau außer Haus und für ihre Bekleidung immer strikter wurden, fanden die Bewohner Mekkas, der heiligen Hauptstadt des Islams, doch noch einen Ausweg und führten eine neue Regel ein. Danach konnten junge Frauen, die heiraten wollten, unverschleiert das Haus verlassen und einmal die Kaaba von Mekka umrunden, um so den Männern eine Gelegenheit zu geben, um die Frau anzuhalten, die ihnen gefiel. Diese Regel hatte ihren Ursprung in vorislamischen Traditionen der Bevölkerung Mekkas und hielt sich bis ins zweite islamische Jahrhundert.

Schritt für Schritt wurden die Regeln verschärft: So erließ ein jemenitischer Emir namens Imam Jahja im dritten Jahrhundert islamischer Zeitrechnung das Gebot, dass Frauen das Haus nur noch mit Hidschab verlassen dürften und keine mehr auf den Markt gehen dürfe, ohne das Gesicht zu verschleiern, weil sich die Bevölkerung der Stadt Assum im Umgang zwischen den Geschlechtern und in der Ehe nicht mehr an die islamischen Vorschriften halte. Zur selben Zeit wurden der Hidschab und die häusliche Isolierung der Frauen auch in Ägypten strikt durchgesetzt. Der Sultan von Ägypten verbot den Frauen, das Haus zu verlassen, und ließ nur eine Ausnahme zu, die die Leichenwäscherinnen betraf. Ähnlich war die Lage in vielen anderen islamischen Staaten.

Dass die Frauen zu Muhammads Zeiten im Gegensatz zu heute noch mit unverhülltem Gesicht in der Moschee beten durften, lässt auf eine Verschärfung der Sitten im Laufe der Zeit schließen.

Der Hidschab - die Vielfalt der Verhüllung

Als der Islam andere Länder eroberte, lernten die Araber verschiedene Kulturen und Sitten kennen, die auf sie zurückwirkten. In späteren Jahrhunderten hinterließ selbst die Art, wie sich die spanischen Ritter kleideten, ihre Spuren in der Bekleidung der Araber. Die Verhüllung der Frauen in der Öffentlichkeit wurde jedenfalls im Vergleich zu den Anfängen des Islams strenger gehandhabt. Zwar blieb die Dscholbab noch einige Zeit über den Tod Muhammads hinaus die klassische Bekleidung der Musliminnen. Aber schon im ersten und zweiten Jahrhundert bedeutete der Hidschab eine vollständige Bedeckung des Gesichts und des gesamten Körpers der Frau. Das umhüllende Tuch musste so locker sitzen, dass nicht einmal die Umrisse der weiblichen Gestalt zu erkennen waren. Dennoch gab es in der Art der Verhüllung je nach Land deutliche Unterschiede, so Niqab und Burqa in Arabien und Zentralasien, oder der Tschador mit Pluderhosen, Kopftuch und schwarzem Gesichtsschleier aus Pferdehaar im Iran und im Nahen Osten.

Der Gesichtsschleier (Niqab) war zu Muhammads Zeiten nicht üblich. Einmal, so heißt es in der Überlieferung, verließ Aischa, eine der Frauen des Propheten, das Haus mit einem Niqab, aber nur, weil sie eine jüdische Gefangene namens Safije besuchen wollte, die Muhammad zu heiraten beabsichtigte.

Einige Forscher sind der Meinung, dass der Gesichtsschleier eine Zeitlang in Mode war, um das Verhüllungsgebot zu erfüllen, und vor allem in der zweiten Hälfte des ersten islamischen Jahrhunderts verbreitet war, dann aber einem anderem Kleidungsstück, der Burqa, Platz machte. Während der Niqab das Gesicht verhüllt, bedeckt die Burqa Gesicht und Körper zugleich.

Im Laufe der Zeit gingen die meisten islamischen Gesellschaften dazu über, Gesicht und Körper der Frauen unter Tüchern verschwinden zu lassen, so dass der Schleier in verschiedenen Varianten bis ins letzte Jahrhundert die vorherrschende Bekleidung der Frauen war.

Aber mit der Verstädterung und Modernisierung des 20. Jahrhunderts wurde die traditionelle Frauenkleidung lästig und störend. So entstanden neue Formen des Hidschab. Die Frauen in der Stadt zogen statt des langen Tschadors ein Kopftuch über und wählten Kleidungsstücke, die zwar den ganzen Körper verdeckten, ihnen aber größere Bewegungsfreiheit ließen. In vielen Ländern fiel die Verschleierung des Gesichts weg.

Nach der islamischen Revolution im Iran und der Eroberung der Macht in Afghanistan durch die Taliban wurde der islamische Hidschab jedoch zum politischen Symbol gegen die westliche Kultur. Der Zwang zur Verhüllung setzte einerseits in vielen islamischen Staaten die Frauen massivem Druck und Repressalien aus, andererseits ist es den Islamisten gelungen, den Hidschab - hier meist auf das Kopftuch reduziert - auch in westeuropäischen Gesellschaften für politische und soziale Störmanöver zu nutzen.

von Ali Schirasi
Esslinger Zeitung, 18./19. Dezember 2004

  Startseite zurück  weiter 

sw, 26.01.05