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Iran: Molla-Regime ergreift die Flucht nach vorn

Hardware und Software: zwei politische Konzepte

In den ersten Tagen des Kriegs der US-Alliierten gegen Saddam Hussein ließen die obersten religiösen, politischen und militärischen Stellen des Iran keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Krieg sich in die Länge ziehen werde. Sie verliehen ihrer Hoffnung Ausdruck, dass der der irak für das US-amerikanische Militär zu einem "zweiten Vietnam" werde.

Aber als sich mit dem Fall von Baghdad die 200.000 Soldaten der Republikanischen Garden und die 60.000 Kämpfer der angeblich regime-ergebenen Saddam-Fedayin wie in Luft auflösten, kam es zwischen den verschiedenen Flügeln der islamischen Führung im Iran zu pausenlosen - öffentlichen wie geheim gehaltenen - Sitzungen.

In den Debatten darüber, wie man dem Vorrücken der USA am besten Paroli bieten könnte, beherrschten zwei Konzepte das Feld, die kurz mit den Begriffen Software und Hardware umrissen werden.

In dem Maß, wie die Meinungsverschiedenheiten unter den Mollas auch ihren Weg in die Presseorgane der beiden Flügel fanden, wurden die dahinter stehenden Vorstellungen auch dem breiteren Publikum zugänglich.

Hinter dem Wort "Software" verbirgt sich das Kalkül, dass man den Parteien und dem Volk mehr Freiheiten einräumen, in den Institutionen der Islamischen Republik Reformen durchführen und der von den Mollas kreierten Opposition mehr Spielraum gewähren müsse, damit sie die Unzufriedenheit in der Bevölkerung besser auffangen könne. Auch solle man öffentlich Verhandlungen mit den USA aufnehmen.

Das Hardware-Konzept sieht dagegen vor, verstärkt militärische Manöver abzuhalten und Mobilmachungen durchzuführen, mit einem Schwerpunkt auf Guerrilla-Angriffe und Partisanen-Taktik. Man müsse sich demnach bei Amerikas Rivalen mit modernen Angriffs- und Verteidigungswaffen eindecken, das Projekt der Entwicklung einer iranischen Atombombe zügiger vorantreiben und den Krieg gegen Amerika auf irakischem Boden in Gang zu setzen, bevor es den USA gelinge, dort Fuß zu fassen.

Die Position führender Persönlichkeiten der Republik der Mollas

Der islamische Geistliche Ahmad Dschannati, Sekretär des Wächterrats und einer der mächtigsten Männer des iranischen Regimes, erklärte auf dem Freitagsgebet vom 2. Mai nach den üblichen Beschimpfungen und Verwünschungen an die Adresse Amerikas, den "Großen Satan": "Das irakische Volk muss sich mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, und sei es mit Steinwürfen, gegen die ausländischen Kräfte zur Wehr setzen und den großen Satan aus dem Land vertreiben."

Der Geistliche Mowahhadi Kermani, Vertreter des religiösen Oberhaupts Chamenei bei den Pasdaran - den Revolutionswächtern, dem militärischen Arm der Geistlichkeit, meinte bezüglich der Besetzung geweihter Orte: "Heute strecken die Truppen des großen Satans ihre Finger nach den heiligen Städten Nadschaf und Kerbela aus, und es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Schiiten, Kerbela und Nadschaf von ihrer Anwesenheit zu reinigen."

Mowahhadi Kermani nannte diejenigen, die für Verhandlungen mit den USA eintreten, Verräter des Islam.

Mohsen Resa'i, Sekretär der ‚Versammlung zur Beurteilung der wohlverstandenen Interessen des Systems', einem gleichfalls sehr einflussreichen Gremium, bemerkte:

"Die Amerikaner sind nicht auf Verhandlungen aus, denn wir haben ihnen schon zu verschiedenen Zeitpunkten grünes Licht für solche Verhandlungen gegeben und die staatlichen Institutionen wurde sogar angewiesen, keine amerikanischen Fahnen mehr zu verbrennen, aber die Amerikaner waren nie zu einem Entgegenkommen bereit." Und mit Bezug auf die Kampfmethoden der Hisbollah im Libanon meinte Mohsen Resa'i anerkennend: "Der Libanon war mit Hilfe der Hisbollah das erste Land, das Israel eine Niederlage zufügen konnte." Er kommt daher zum Schluss, dass man Amerika im Irak mit den selben Methoden bekämpfen müsse.

Ein weiterer Geistlicher, ebenfalls ein Redner zu den Freitagsgebeten, versuchte die Bevölkerung mit folgenden Worten aufzuhetzen:

"Die Amerikaner haben Ferngläser, durch die sie mittels Infrarotstrahlen den nackten Körper unserer Frauen sehen können, und das tun sie jeden Tag."

Auf einer der jüngsten Sitzungen des Hohen Rats für Nationale Sicherheit der Islamischen Republik, der die wichtigsten Entscheidungen trifft, wurde festgestellt, dass es angesichts der Unvermeidlichkeit eines Konflikts mit den USA besser sei, die Initiative nicht den Amerikanern zu überlassen, und die Islamische Republik ihnen zuvorkommen müsse.

Dabei sollten wir wissen, dass der Präsident des Hohen Rats für Nationale Sicherheit der Islamischen Republik Iran niemand anderer ist als Herr Chatami, der Präsident der Republik, Gallionsfigur der Reformer und Initiator des Dialogs der Kulturen.

Brigadegeneral Dhulqadr, der stellvertretende Oberkommandeur der Revolutionswächter, sprach in einer Rede, die er vor hochrangigen Offizieren der Revolutionswächter hielt, vom Wert der Opferbereitschaft und des Märtyrertums im Islam, vom Kampf gegen die Feinde des Islam, vom Kampf gegen den ‚Großen Satan', und meinte, die Region müsse zu einem Ort des Abschlachtens der amerikanischen Kräfte werden. Er kam zum Schluss: "Iran ist weder Afghanistan noch der Irak, sondern ein Brennpunkt im Kampf gegen die Arroganz und ein Zentrum der Opferbereitschaft."

Umsetzung in die Praxis

Nachdem selbst Baschar al-Assad und mithin Syrien als alte, zuverlässige Stütze der iranischen Regierung gegenüber dem politischen Druck der USA nachgegeben hatte, wurden die Spitzen der Islamischen Republik von Panik gepackt. Sie beschlossen, so rasch wie möglich die Flucht nach vorn anzutreten, und nicht im Iran, sondern schon im Irak das Feld für die Konfrontation mit den USA zu bereiten. Sie stellten eilig ein Team aus folgenden Personen zusammen:

Qasem Soleymani, Kommandant des Qods-Korps, Dhulqadr, stellvertretender Oberkommandeur der Revolutionswächter, Divisionskommandant Naqdi, Ali Aqa Mohammadi, die Führer des Obersten Rats der Islamischen Revolution im Irak, die Führer der Badr-Brigaden. Die iranische Regierung stellte diesem Team über 100 Millionen Dollar zur Verfügung, das die Aufgabe hat, Propaganda gegen Amerika zu betreiben, noch mehr speziell ausgebildete Personen in den Irak zu entsenden, die Anhänger einer Islamischen Republik in verschiedenen irakischen Städten zu bewaffnen und zu organisieren, auf verschiedenen Wegen den Widerstand gegen die USA zu organisieren, indem es die Schiiten auf die Straße bringt.

Noch vor der Bildung dieses Teams, in dem wichtige militärische und politische Figuren des Regimes sowie seiner irakischen Anhänger vertreten sind, hat die Republik der Mollas auf irakischem Boden diverse Aktionen gegen die Amerikaner ausgeführt:

Unmittelbar vor Kriegsbeginn, namentlich in den letzten zwei Wochen davor, wurden über 1000 Elite-Soldaten der Badr-Brigaden via Suleymaniye in den Irak eingeschleust. Am 6. April betraten die ersten Einheiten der Badr-Brigaden öffentlich mit Unterstützung iranischer Pasdaran irakischen Boden. Von da an wurden tagtäglich weitere Angehörige der Badr-Brigaden in Begleitung von Koranschülern, sowie arabisch sprechende Einheiten der Qods-Brigaden zusammen mit iranischen Hisbollah-Anhängern nach Kut und von dort nach an-Nasseriya, ad-Diwaniya, Nadschaf und Kerbela geschickt.

Nach der Einnahme Baghdads machte die iranische Regierung Baqer Hakim, dem Präsidenten des Obersten Rats der Islamischen Revolution im Irak, den Vorschlag, unter ihrem Schutz seinen Bruder Abdulasis Hakim mit 250 Kämpfern der Sondereinheiten der Badr-Brigaden in Begleitung zahlreicher irakischer Koranschüler, die an iranischen Islamschulen gelernt hatten, in den Irak zu schicken. Sie hatten auch eine ‚Kriegskasse' mit Dollars dabei und mehrere Kalligraphen, um Parolen gegen Amerika zu schreiben, sowie zwei Radiosender.

Als die Amerikaner Kerbela und Nadschaf eroberten, trafen die amerikanischen Militärs eine Abmachung mit den schiitischen Geistlichen, aufgrund derer die siegreichen Soldaten den historischen Teil der beiden Städte nicht betraten, in denen sich die Heiligtümer von Imam Ali und Imam Hussein befinden.

Diese Abmachung ermöglichte es den vom Iran entsandten Einheiten, schnell und ungestört in beiden Städten und einigen anderen Ortschaften ihre Basen einzurichten, die Moscheen und die Gebäude der Baath-Partei in ihre Gewalt zu bringen und die Bevölkerung gegen die Amerikaner aufzuwiegeln. Seit dem 11. April sind zwei neue Radiosender in Betrieb, die "Stimme des Islam" und die "Stimme des Irak", die ihre Programme aus Kerbela und Nadschaf ausstrahlen. Die Agenten des iranischen Regimes haben Hunderte von jungen Arbeitslosen unter der Flagge von Hisbollah-Gruppen organisiert. Eine große Zahl wichtiger staatlicher Gebäude in Nadschaf, Kerbela und anderen mehrheitlich von Schiiten bewohnten Städten wurde besetzt, an deren Fassade jetzt der Name des Obersten Rats der Islamischen Revolution im Irak sowie der Hisb ad-Da'wa prangt. Als die Islamisten sich dranmachten, öffentliche Gebäude in Beschlag zu nehmen, erkoren sie sich mit Vorliebe Balett- und Musikschulen zum Ziel, um dort Islamische Komitees einzurichten. Dort wird nun an Waffen ausgebildet und der Koran gelehrt.

Da der Preis von Waffen im Irak sehr niedrig ist und überall damit gehandelt wird - eine Kalaschnikow kostet zehn Dollar, eine Pistole fünf Dollar, eine RPG 7 zwanzig Dollar und ein Katjuschka-Granatwerfer dreißig Dollar - konnten die Agenten der Islamischen Republik Iran ihre Kräfte sehr schnell bewaffnen. So kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Islamische Republik Iran derzeit Vorbereitungen für einen großen Aufstand der irakischen Schiiten trifft.

Kann sich die Islamische Republik mit ihrer Flucht nach vorn noch retten?

Was die Islamische Republik Iran im Schilde führt, ist den Engländern und Amerikanern nicht entgangen. Richard Butcher, der Sprecher des US-Außenministeriums, erklärte in einem Interview mit Journalisten:

"Eine lautstarke Minderheit stiftet derzeit Unruhe, um den Irak in ein Land nach iranischem Vorbild umzuwandeln. Aber wir werden nicht zulassen, dass sie ihre Absichten verwirklichen."

Über 5000 Soldaten der US-Streitkräfte sind entlang der iranisch-irakischen Grenze stationiert, um die Grenze zu kontrollieren. Bis heute haben sie Hunderte von Kämpfern der Badr-Brigaden als Kriegsgefangene festgenommen.

Andererseits sind laut offiziellen und inoffiziellen staatlichen Meinungsumfragen im Iran 75 Prozent der Bevölkerung für Frieden und Verhandlungen mit den USA, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass 95 Prozent der iranischen Bevölkerung sich wünschen, lieber heute als morgen von der Herrschaft der Mollas befreit zu werden.

Die Äußerungen einer Reihe hochrangiger Vertreter des Regimes in den letzten Tagen geben sehr zu denken. So erklärte Behsad Nabawi, ein wichtiger Staatspolitiker, in einem Interview: "Das System ist am Ende."

Herr Mirdamadi, ein einflussreicher Parlamentsabgeordneter, erklärte auf einer nicht-öffentlichen Parlamentssitzung: "Das System ist zusammengebrochen. Die Führung kann nichts mehr ausrichten und wird nur noch mit der Gewalt der Waffen und der Propaganda aufrecht erhalten."

Erst vor kurzem haben 250 Personen, darunter Parlamentsabgeordnete, Journalisten, ehemalige Minister des Regimes und Hochschulprofessoren eine Erklärung veröffentlicht, in der sie rasche politische Reformen, die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen und die Abschaffung des Wächterrats fordern.

Zudem existieren zwischen den schiitischen Gelehrten des Irak und den schiitischen Gelehrten der iranischen Regierung gegensätzliche Meinungen über die maßgebliche Instanz für die schiitische Welt, über die Rolle der Herrschaft des Gottesgelehrten oder auch darüber, ob man mit Amerika zusammenarbeiten solle oder nicht.

Wie führende schiitische Instanzen im Iran selbst sagen, gibt es derzeit heftige innere Konflikte unter den obersten Autoritäten des Schiitentums.

Neben der normalen Bevölkerung beginnen jetzt auch die Bewegungen der Studenten, Lehrer, Hochschuldozenten und Intellektuellen im Iran, die die Basis des Reformlagers darstellten, in der Hoffnung auf Demokratie und auf einen Iran, der nicht unter der Fuchtel der Mollas steht, die Tage des Regimes zu zählen.

Mit den Worten eines Parlamentsabgeordneten:

"Das System ist zusammengebrochen."

Dass es jetzt die Flucht nach vorne antritt, ist selbst ein Indiz für diesen Zusammenbruch.

von Ali Shirasi, Mai 2003

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sw, 18.5.03