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Am 14. Mai 2006 veröffentlichte das Forschungszentrum des iranischen Parlaments einen Wirtschaftsbericht, der einerseits einen Einblick in die schwere Wirtschaftskrise gewährt, die die Islamische Republik Iran durchläuft, andererseits auch heftige Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung Ahmadinedschad enthält. Im Bericht wird das aktuelle Budget der iranischen Regierung einer kritischen Würdigung unterzogen. Demnach machen die Erdöleinnahmen die Hälfte der Gesamteinnahmen des Budgets aus. Die Folgen für die iranische Politik und Volkswirtschaft: Der staatliche Anteil am Wirtschaftsleben nimmt weiter zu, und der Privatsektor verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit, da die Zuteilung der Erdöleinnahmen keiner wirtschaftlichen Logik folgt.
Werfen wir nun einen Blick auf die Erdölreserven des Irans und die tägliche Erdöl-Förderung im Lande und vergleichen dies mit anderen erdölfördernden Staaten. Nach Angaben der iranischen Exilzeitung Keyhan (17. Mai 2006, Nr. 1105) betragen die Weltvorräte an Erdöl 1200 Milliarden Barrel. 750 Milliarden Barrel davon liegen am Persischen Golf, 132 Milliarden Barrel davon wiederum im Iran. Somit verfügt der Iran über 11 Prozent der bekannten Erdölvorräte weltweit. Im Vergleich dazu: Saudi-Arabien hält mit 263 Milliarden Barrel Erdöl den ersten Rang in der Region.
Der Mangel an moderner Technologie führt allerdings dazu, dass der Iran die vorhandenen Vorräte nicht in dem Maße ausnutzt, wie es möglich wäre:
Wir sehen: Der Iran verfügt über mehr Ölreserven als Russland, USA, Mexiko und Norwegen zusammen, die dafür aber mehr als sechs mal so viel Öl wie der Iran fördern.
Vor der Revolution 1979 förderte der Iran noch sechs Millionen Barrel pro Tag, allerdings mit der Technologie westlicher Firmen, die unter dem Schah im Iran tätig waren. Die tägliche Erdölförderung im Iran nimmt in den alten Fördergebieten zudem jedes Jahr um ca. 0,2 Mio Barrel / Tag ab, wird also in fünf Jahren auf schätzungsweise 2,8 Mio. Barrel / Tag sinken.
Dr. Mohammad-Hadi Neschad-Hosseinian, stellvertretender iranischer Erdölminister, zählt folgende Gründe für den Niedergang dieses Industriezweigs auf:
Der gesamte Erdölsektor im Iran liegt in staatlicher Hand, es gibt keine Konkurrenz. Es fehlt an erfahrenen Spezialisten. Neue Erdölfelder werden nur schleppend erschlossen. Der Ausnutzungskoeffizient der erschlossenen Felder ist niedrig.
Ein weiterer Problembereich liegt im Konsum von Erdölprodukten, der die Kapazitäten der eigenen Weiterverarbeitung bei weitem übersteigt. Der Iran ist mit 68 Millionen Einwohnern unter den OPEC-Staaten der größte Erdölverbraucher. Von den täglich geförderten 3,8 Mio. Barrel Rohöl werden 1,55 Mio. Barrel im Land verbraucht (Rohölverbrauch in Deutschland 2,7 Mio Barrel /Tag).
Im ganzen Iran funktionieren neun Erdölraffinerien, die täglich 0,25 Mio. Barrel Benzin herstellen, während der Verbrauch bei 0,43 Mio. Barrel pro Tag liegt (20,8 Mio. Tonnen pro Jahr). (In der Bundesrepublik Deutschland sind es 14 Raffinerien, die jährlich 111 Mio. Tonnen Rohöl verarbeiten. Benzinverbrauch in Deutschland 2005: 23,4 Mio. Tonnen.)
Der Iran hat im iranischen Jahr 2005/6 für 5 Milliarden Dollar Benzin importiert. Jährlich wächst der iranische Benzinkonsum um 10 Prozent. Wenn es der iranischen Regierung nicht gelingt, dieses Problem zu lösen, wird der Iran in fünf Jahren 0,7 Mio. Barrel Benzin pro Tag verbrauchen.
Die weltweiten Erdölreserven betragen derzeit etwas über 4 Milliarden Barrel Rohöl (Handelsreserven: 2595 Mio. Barrel Rohöl, Strategische Reserven: 1484 Mio. Barrel Rohöl). Der tägliche Erdölverbrauch beträgt derzeit 84 Mio. Barrel Rohöl mit anderen Worten, die Rohölreserven reichen derzeit für knapp 48 Tage. Von den zitierten 84 Mio. Barrel Rohöl stammen 2,3 Mio. Barrel aus dem Iran. Folgende Szenarien werden für wahrscheinlich gehalten, wenn die iranische Regierung diese 2,3 Mio. Barrel nicht mehr exportiert:
Generell wird eine Preiserhöhung des Erdöls Staaten wie die Volksrepublik China, Indien, Brasilien und Südkorea wirtschaftlich stärker treffen als Westeuropa sowie Japan.
80 Prozent der Deviseneinnahmen des Irans und 50 Prozent der Budgeteinnahmen der iranischen Regierung beruhen auf den Erdöleinnahmen. Das iranische Budget weist trotz dieses Erdölsegens schon jetzt ein Haushaltsdefizit von 12 Mia. Dollar auf. Ein beträchtlicher Anteil der iranischen Bevölkerung ist bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnungen auf staatlichen Subventionen angewiesen, die ihrerseits mit den Erdöleinnahmen finanziert werden. Beim Ausbleiben der Erdöleinnahmen oder bei einer deutlichen Verringerung dieser Einkünfte wird die iranische Regierung gezwungen, ihre Devisenreserven aufzubrauchen. Die voraussichtlichen Folgen für den Iran: Vertiefung der Wirtschaftskrise, Ausbleiben ausländischer Investitionen im Erdölsektor, Flucht des iranischen Kapitals ins Ausland, fehlende Mittel für den Staat, seine Subventionspolitik fortzuführen, Zunahme der Inflation, starke Zunahme der Arbeitslosigkeit, Zunahme der Unzufriedenheit in der Bevölkerung und verstärkte Unruhen im ganzen Land.
Stark verringerte Erdöleinnahmen werden auch dazu führen, dass die iranische Regierung kein Geld hat, um für den inländischen Bedarf benötigtes Benzin und Diesel zu importieren. Dies wird sich äußerst negativ auf den iranischen Binnenhandel, das Transportwesen und die Versorgung der Bevölkerung mit Waren auswirken.
Und das alles vor dem Hintergrund einer schon jetzt katastrophalen Wirtschaftslage. So erklärte Kamal Daneshyar, Vorsitzender des Energie-Ausschusses des iranischen Parlaments, am 14. Mai 2006 vor dem Parlament:
Wir haben derzeit 4 Millionen Arbeitslose, 3 Millionen Drogenabhängige, 10 Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, wir importieren jährlich Benzin für 5 Milliarden Dollar und zusätzlich weitere Güter für 40 Milliarden Dollar. Wir erleben eine Kapitalflucht aus dem Iran.
Kann es sich die iranische Regierung vor diesem Hintergrund leisten, den Erdölexport zu stoppen? Oder handelt es sich nur um einen Bluff im Atombombenpoker?
Täglich passieren 17 Mio. Barrel Erdöl die Meerenge von Hormos. Sie ist somit zu einer Lebensader der Weltwirtschaft geworden. Wenn die Regierung in Teheran in dieser Meerenge Störungen des Energieflusses auslösen will, wird sie nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit den anderen Staaten in der Region in Konflikt geraten. Und diese Regierung soll in den Besitz der Atombombe gelangen?
Ali Schirasi, 04.06.06Startseite |
sw, 2.7.06